Intendant des Wuppertaler Tanztheaters
Pina-Bausch-Tänzer: „Wir entwickelten sofort einen guten Draht“
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Wuppertal. Der langjährige Pina-Bausch-Tänzer und Intendant des Wuppertaler Tanztheaters Lutz Förster (70) blickt zurück.
Von Monika Werner-Staude
Herr Förster, Ihr erstes Pina-Bausch-Stück war 1975 „Das Frühlingsopfer“. Ist es auch Ihr Lieblingsstück?
Lutz Förster: Ich habe kein Lieblingsstück, ich kann mich nicht für eines entscheiden. Aber alles, was mit einem Anfang zu tun hat, bleibt etwas Bedeutsames. Genauso wie der Moment, als ich mich entschieden habe, wieder mit dem Tanzen anzufangen. Oder als das Tanztheater, nachdem ich erst ein Jahr studiert hatte, fragte, ob ich beim „Frühlingsopfer“ mitwirken wollte. Das war schon aufregend. Nicht wegen Pina, sondern weil es eine professionelle Kompanie mit einem richtigen Opernhaus war.
Wie sind Sie zum Tanzen gekommen?
Förster: Eigentlich fing alles ganz früh, in der Kindheit, an. Ich bekam ein Kasperle-Theater geschenkt, später wurden daraus Marionetten, eigene Inszenierungen. Auch in der Schule hatte ich Auftritte. Ich fühlte mich wohl, wenn mir die Leute zuguckten. In der Schule hatte ich einen Klassenkameraden, über den ich in eine Kinderformationstanztruppe und zum Ballettunterricht kam. Ich wirkte in einer Laienspielgruppe mit, wo ich bald die Hauptrollen spielte. In der Oberstufe befasste mich dann wieder mit Gesellschaftstanz im Tanzkreis Blausilber. All das war Hobby, lief parallel zur Schule. Ich war zwar ein zartes Kind, hatte aber immer eine große Klappe und war strapazierfähig. Gleichzeitig hatte ich Interesse an Sprachen, studierte nach dem Abitur Romanistik und Geschichte in Hamburg. War auch aktiv in der Schwulenbewegung. Und dann war da dieser Jahreswechsel 1973/1974 in Dänemark, ich war allein am Wasser und befand, dass ich mich nach anderthalb Jahren Abstinenz wieder bewegen musste. Eine Erleuchtung am Strand. Also schaute ich in die Gelben Seiten und nahm Jazztanzunterricht bei Lola Rogge und Hedi Höpfner. Daraus wurde mehr, auch klassischer Ballettunterricht kam dazu. Ich kannte zwei Mädchen, die mit der Folkwang Hochschule zu tun hatten. Also habe ich mich beworben und eine kleine improvisierte Prüfung absolviert. Professor Hans Züllig meinte, „wir können es ja mal versuchen“. Ich war alt (21), groß (191), hatte meinen Körper nicht unter Kontrolle, aber sie suchten männliche Tänzer. Schon im ersten Semester fragte Susanne Linke an, ob ich bei einem Stück mitmachen würde. Für das wir dann einen Preis in Köln bekamen. Es ging wirklich fulminant los.
Können Sie sich noch an Ihre erste Begegnung mit Pina Bausch erinnern?
Förster: Ja, es war in der Mensa der Folkwang Hochschule, wo ich mit Hans Züllig am Tisch saß. Sie kam herein mit Rolf Borzik und Jan Minařík, steuerte auf Züllig zu, während ich mit Borzik ins Gespräch kam. Wir entwickelten sofort einen guten Draht. Ich hörte sie und erkannte ihren Akzent. Wir stellten fest, dass wir beide aus Solingen stammten.
Sie wurden 1978 nach Abschluss des Studiums festes Tanztheatermitglied, haben 34 Jahre mit Pina Bausch gearbeitet. Wie war das?
Förster: Pina war immer ein wichtiger Bestandteil meines Lebens. Wir haben viel zusammen durchgemacht, zum Beispiel 1980, als sie Borzik verlor und ich einen wichtigen Freund. Wir haben einander vertraut. Sie hat einmal gesagt, dass sie sich nicht dafür interessiert, wie sich Menschen bewegen, sondern was sie bewegt. Das hat mir gefallen, obwohl die erste Hälfte des Satzes nicht ganz stimmt: Sie war sehr interessiert daran, wie wir uns bewegten. Sie suchte immer, feilte an der Bewegung, sehr detailliert und genau, es konnte immer etwas richtiger und genauer sein. Diese ständige Suche hat es mir auch möglich gemacht, ihre Stücke über Jahrzehnte zu tanzen. Eines habe ich von ihr gelernt, das ich überhaupt nicht mitgebracht habe: Geduld.
Sie haben getanzt, gelehrt, organisiert und gemanagt. Machen Sie alles gleich gerne?
Förster: Ich mag ein Talent für Organisation haben und kann ganz gut mit Menschen umgehen. Habe das an Folkwang 20 Jahre getan. Das hat auch Spaß gemacht, war mir aber nie wirklich wichtig. Auf der Bühne stehen und unterrichten, das waren meine Leidenschaften.
Von 2013 bis 2016 waren Sie künstlerischer Leiter des Tanztheaters Wuppertal Pina Bausch.
Förster: Das ist ein kritisches Thema. Alles, was ich gemacht habe, hatte ich irgendwie vorher schon im Kopf. Was ich nie in Betracht gezogen habe, war künstlerischer Leiter vom Tanztheater Wuppertal zu werden. Aber das Tanztheater war 2013 in einem desolaten Zustand: Die Doppelspitze funktionierte nicht, die Compagnie war zerstritten. Und sie wünschte sich, dass ich die Leitung übernehmen sollte. Ich habe dann sicherlich Fehler gemacht. Auch mein Vertrauen in Geschäftsführung und Stadt Wuppertal war sicher falsch. Aber ich habe es geschafft, dass in der Compagnie wieder respektvoll miteinander umgegangen wurde. Ich hinterließ eine geeinte Compagnie, als ich ging. Ursprünglich war meine Arbeit für zwei Jahre geplant. Als ein vermeintlich gefundener Nachfolger absagte, ließ ich mich breitschlagen, ein weiteres Jahr zu bleiben. Das war ein Fehler und das Ende war leider nicht schön und für alle Seiten eher peinlich. Immerhin bekam ich jetzt zu meinem 70. Geburtstag eine Glückwunschmail vom Vorsitzenden des Aufsichtsrates des Tanztheaters, in dem er mir auch für meine gelungene Intendanz dankt. Ist doch schön, besser spät als nie. Für mich ist das Kapitel Tanztheater Wuppertal schon seit längerem abgeschlossen. Es ist heute eine völlig andere Welt, eine Welt, die nicht die meine ist.
Haben Sie auch mit Wuppertal abgeschlossen?
Förster: Nein, Wuppertal und Solingen sind meine Heimat. Als Vierjähriger bin ich mit meiner Oma Schwebebahn gefahren, der Zoo war Pflichtprogramm. Ich habe ein emotionales Verhältnis zur Stadt. Ich bin traurig, was aus ihr geworden ist.
Der richtige Umgang mit dem Repertoire von Pina Bausch ist ein Dauerthema.
Förster: Offensichtlich besteht noch Handlungsbedarf.
Haben Sie Zukunftspläne?
Förster: Beruflich eher Nein. Durch Corona habe ich zwangsweise gemerkt, dass es ein wunderbar luxuriöser Zustand ist, nicht arbeiten zu müssen und zu tun, was man möchte. Wenn Anfragen kommen, kann ich mir das überlegen. Im Moment gibt es zwei Projekte, mit denen ich mich beschäftige, etwas Pädagogisches und etwas Darstellerisches. Mein Interesse an Tanz aber habe ich ziemlich verloren, das meiste langweilt mich heute. Ich gehe heute lieber ins Schauspiel. Das mir dann gefällt, wenn es die Fantasie des Zuschauers anregt. Was übrigens auch eine große Qualität von Pina war. Sie hat Raum geschaffen, den Zuschauer und Tänzer selbst füllen können. Ich denke oft an sie und es ist immer ein sehr schönes Gefühl.
Er sei ein Neinsager. Sein erstes Wort, und das sei verbrieft, sei Nein gewesen. Pina habe ihm später beigebracht, Geduld zu haben, erst einmal abzuwarten. 34 Jahre währte die Zusammenarbeit mit der Choreografin, auf 40 Jahre kam seine Zeit mit dem nach ihr benannten Tanztheater. Anfang Januar ist Lutz Förster 70 Jahre alt geworden. Im Gespräch mit unserer Zeitung blickt er zurück auf sein eigenes Leben als Tänzer, Dozent und künstlerischer Leiter. Erzählt, warum er erst als „alter Mann mit 21 Jahren“ Tänzer wurde und warum er heute mit dem Tanz abgeschlossen hat.
Zur Person
Lutz Förster wurde am 2. Januar 1953 in Solingen geboren. Er erhielt seine Tanzausbildung an der Folkwang Hochschule in Essen. Bis 1978 war Förster Mitglied des Folkwang Tanzstudios, danach wechselte er zu Pina Bauschs Tanztheater Wuppertal, wo er bereits seit 1975 tanzte. Von April 2013 bis 2016 hatte er die künstlerische Leitung inne. In der Spielzeit 1981/1982 und 1984 bis 1986 arbeitete er in New York City, hauptsächlich bei der Dance Company von José Limón. Neben seiner Arbeit in Wuppertal arbeitete er auch frei mit Robert Wilson. Förster ist seit 1991 Professor für Zeitgenössischen Tanz und Beauftragter für den Studiengang Tanz an der Folkwang Universität der Künste.