Kultur
„Fabian – Gang vor die Hunde“: Theaterstück ist wieder erschreckend aktuell
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Das Junge Theater Wuppertal erarbeitet die Geschichte von Erich Kästner. Premiere ist am Freitag.
Von Monika Werner-Staude
Wuppertal. Die 20er Jahre erleben ein Revival, werden verfilmt, analysiert, auf ihre Relevanz für unser Heute abgeklopft. Und immer wieder für erschreckend aktuell befunden. Gerade hat die Bundeskunsthalle in Bonn eine Ausstellung eröffnet, die mit der These lockt, Parallelen zu dokumentieren, die bislang nicht im Fokus standen.
Das Junge Theater Wuppertal bringt nun den Roman „Fabian – Gang vor die Hunde“ von Erich Kästner auf die Bühne, der im Berlin der „Goldenen Zwanziger“ spielt. „Und jetzt sitzen wir wieder im Wartesaal, und wieder heißt er Europa! Und wieder wissen wir nicht, was geschehen wird. Wir leben provisorisch, die Krise nimmt kein Ende“ heißt es ab Freitag, 14. April, im Theater am Engelsgarten.
Erich Kästners Großstadtroman erschien 1931, wenige Jahre vor der Machtergreifung der Nazis. Er wollte vor dem politischen und moralischen Verfall, der abwartenden Passivität, die ins Verderben führte, „vor dem Abgrund warnen, dem sich Deutschland und damit Europa näherten“, schrieb er 1950 im Vorwort zur Neuauflage.
Sein Held Fabian, Germanist und Reklametexter, der autobiografische Züge trägt, treibt durch das Berlin der „Goldenen Zwanziger“ – hin- und hergerissen zwischen erotischen Abenteuern, Abstürzen, politischer Polarisierung und dem Bemühen, Integrität und Moral zu behaupten. Er verliebt sich, will sein Leben ändern – und verliert seinen Job.
Ein weiterer Schlag ist der Selbstmord seines Studienfreunds Labude, der die angebliche Ablehnung seiner Habilitationsschrift nicht verkraftet. Fabian kehrt in seine Heimatstadt Dresden zurück, kann aber nicht Fuß fassen. Bei dem Versuch, einen in den Fluss gesprungenen Jungen zu retten, ertrinkt er. Kästners Roman hatte von Anfang an mit drohender Zensur zu kämpfen, weshalb der Verlag Kapitel und Passagen schon vor seinem Erscheinen strich.
Erst im Jahr 2013 erschien die ungekürzte Originalfassung des Buches. Die Wuppertaler wählten die Bühnenversion von Gero Vierhuff, die sich daran orientiert. Sie übernehmen bewusst bissige und schwierige Szenen, streichen nur aus inszenatorischen Gründen, erzählt Leander Kemperdick (Labude, ein Theaterkritiker). Außerdem bauten sie eine später entstandene Szene ein, die gut zum Thema Fake News passt.
Barbara Büchmann, die das Team des Jungen Theaters Wuppertal leitet und Regie führt, hatte das Stück ihrem Ensemble vorgeschlagen. Nicht wegen der bekannten Verfilmung von Dominik Graf aus dem Jahr 2021. Sondern „wegen der vielen Ebenen, mit denen sich die Jugendlichen gut identifizieren können. Auch heute reiht sich eine Krise an die andere“, erzählt sie. Und trifft bei den Darstellern ins Schwarze.
Helene Hebecker (Fabian) meint, dass Gesellschaftskritik und Stimmung mit heute vergleichbar seien. Auch heute verändere sich viel in der Welt, verunsichern Klimawandel und Ukraine-Krieg die Menschen, so die 18-Jährige. Und die 19-jährige Luna Linde (Frau Moll und Malmy) hebt hervor, dass der Titel einfach gut ins Jetzt übertragen werden könne. Dass der Verfall nicht bierernst, sondern mit Gags und bizarren Stilmitteln dargestellt wird, die freilich mitunter dafür sorgen, dass das Lachen im Hals steckenbleibt, wird als willkommener Kontrast gesehen. Die jungen Leute begrüßen es, in die überzogenen Charaktere zu schlüpfen.
Im Herbst 2022 begann die Beschäftigung mit dem Stück. Die stets auf Augenhöhe geschieht: Büchmann will alle hinter dem Stoff vereinen, was zu ausgiebigen Diskussionen führt. Etwa der über die Rollenvergabe. Die nun nicht mit dem Genderblick erfolgt. Fast alle spielen mehrere, männliche und weibliche Rollen. Es gehe schließlich um ein Gemeinschaftsprojekt, sagt Luna. Vieles entstehe während des Spiels auf der Bühne, das mit improvisatorischen Szenen beginnt und erst am Ende beim genauen Text landet. Dass sich gleichwohl die Ideen der Regisseurin meist durchsetzen, liegt daran, dass sie überzeugen.
Bei Bühne und Kostümen gibt es einige Vorgaben. Das Stück selbst soll „mit dem Blick von heute auf die Zeit zwischen zwei Weltkriegen“ umgesetzt werden, so Büchmann. Außerdem setzt das knappe Budget enge Grenzen. So hat man gemeinsam eine Fleischtheke aus Restbeständen eines früheren Stücks recycelt (was auch der Nachhaltigkeit dient) und freut sich über die Unterstützung der Bühnenwerkstätten, die zu fünf Lichtschildern verholfen haben. Die erinnern an Nächte auf der Hamburger Reeperbahn, schließlich hält sich Fabian viel in Bordellen und Unterweltkneipen auf. Die Kostüme stammen aus dem Fundus der Bühnen, was preiswert und nachhaltig ist. Unterstützung gibt es schließlich auch vom Tanzhaus, das mit acht Tänzerinnen und Tänzern dazu stößt. Wie, wird gemeinsam mit Choreograph Luca Völkel erarbeitet.
Nur zwei Darsteller wollen Schauspieler werden
Womit sich der Kreis schließt. Büchmann will mit dem von ihr selbst gegründeten Ensemble jungen Menschen das Theater und seine Faszination näherbringen. Und das auf realistische und umfassende Art. Vom Schauspiel über die Dramaturgie bis hin zu den Gewerken hinter der Bühne. Aktuell streben (nur) zwei das Berufsziel Schauspieler an. Der Rest erfreut sich „am gemeinsam erschaffenen Projekt“, sagt der 22-jährige Leander.
Geprobt wurde einmal pro Woche mit allen und seit Januar noch zweimal in kleiner Runde. Was in der nächsten Spielzeit gespielt wird, ist noch offen – Barbara Büchmann hat aber schon Ideen.
Hintergrund
Aufführungen: Stets um 19.30 Uhr im Theater am Engelsgarten: 14. April (Premiere); 15. April; 16. April; 20. April.
Auf der Bühne: Helena Hebecker, Leander Kemperdick, Emilia Coli, Silas Austermann, Luna Linde, Moritz Kettelmann, Raphael Ritz, Philipp Budak, Madeleine Sophie Wörheide, Alyson Hille, das Tanzensemble des Tanzhauses Wuppertal.
Geschichte: Das Junge Theater ist im Jahr 2017 aus dem Jugendclub der Bühnen hervorgegangen. Regieassistentin Barbara Büchmann und Schauspieler Alexander Peiler wollten jungen theaterbegeisterten Menschen etwas anbieten und gewannen Intendant Thomas Braus für ihr Vorhaben. Über ein Casting kamen damals 13 Jugendliche, einige Jahre und eine Pandemie weiter sind heute zehn Jugendliche an Bord.