Interview
Lutz von Rosenberg Lipinsky: „Wir brauchen wieder Spaß an der Demokratie“
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Kabarettist Lutz von Rosenberg Lipinsky gastiert am Donnerstag in Remscheid – Ein Gespräch über die Kirche, Staatsformen und Cancel Culture
Das Gespräch führte Gunnar Freudenberg
Remscheid. Im Vorfeld seines Auftritts am Donnerstag, 23. März, in der Remscheider Schatzkiste erklärt Kabarettist Lutz von Rosenberg Lipinsky, was es mit seinem Programm „Demokratur oder die Wahl der Qual“ auf sich hat – und warum ihn seine eigene Generation besorgt und wütend macht.
Herr von Rosenberg Lipinsky, Sie haben Theologie studiert und gelten als „Deutschlands lustigster Seelsorger“. Haben Sie angesichts der aktuellen Weltlage den Eindruck, Sie werden dringender gebraucht denn je?
Lutz von Rosenberg Lipinsky: Nun ja, wir Kabarettisten haben ja tatsächlich die öffentliche Funktion der Pfarrer übernommen: Weltkritik, Moralpredigt, Gerichtsansage. Aber auch durchaus Zuspruch. Insofern werden wir absolut gebraucht. Aber dringender denn je? Die Beobachtung, dass alles immer schlimmer wird, teile ich nicht. Früher war auch nicht alles besser. Man wusste vielleicht weniger – aber das war vielleicht auch gar nicht schlecht.
Der Kirche gehen die Mitglieder und in Teilen auch der gesellschaftliche Rückhalt verloren. Wie beobachten Sie die Entwicklung?
von Rosenberg Lipinsky: Sie erscheint unumkehrbar. Und das durchaus nicht nur zu Unrecht. In der katholischen Kirche geht es – mehr als in der evangelischen – immer noch zu sehr um Machterhalt und Dominanz. Nun werden mit der traditionellen Kirche auch deren diakonische und soziale Leistungen bedroht. Von denen profitieren auch Nichtchristen. Es wird interessant, ob und wie wir das als Gesellschaft auffangen.
Ihr Programm heißt „Demokratur oder die Wahl der Qual“. Was hat es mit dem Titel auf sich?
von Rosenberg Lipinsky: Wir haben den Begriff „Demokratur“ tatsächlich schon in einem Kabarettprogramm Ende der 80er Jahre geprägt. Schon damals war davon die Rede, dass Wahlen doch nur Täuschungsmanöver wären. Und die Presse manipuliert. Und mächtige Wirtschaftsbosse doch eigentlich das Land lenken. Nun haben wir ein Comeback dieses Gedankenbaus erlebt – aber von ganz anderer Seite. Mein Programm ist der Versuch, diese Kritik aufzunehmen, teilweise auch auszuräumen – vor allem aber, wieder Vertrauen in und Spaß an der Demokratie zu entwickeln.
Wollen und können wir überhaupt Demokratie? Oder ist sie uns zu hoch? Was glauben Sie?
von Rosenberg Lipinsky: Ich sehe das ziemlich nüchtern – nicht nur aufgrund meines adligen Bluts. Ich regiere gern – und würde das jederzeit tun, wenn das Volk mich ruft. . . Ehrlich: Weltweit sind Demokratien in der Minderheit. Es ist die nervigste und anstrengendste Staatsform. Wenn sie die Menschen letztlich überfordert, lassen wir es vielleicht wirklich besser. Oder wir bringen uns endlich mal mehr ein.
War die Ausgangslage noch eine andere, als das Programm entstanden ist?
von Rosenberg Lipinsky: Das ist wirklich irre. Ich habe das Programm im Herbst 2019 geschrieben. Und konnte es dann fast nicht spielen. Aber so vieles, was seitdem passiert ist, illustriert es aufs Beste. So dass es teilweise wirkt, als wäre das Stück jetzt erst entstanden. Die ganzen Diskussionen um die Corona-Maßnahmen, der Durchgriff der Regierung am Parlament vorbei, die sogenannten Querdenker, das vielfältige politische Versagen, zum Beispiel der irre Eigensinn im CDU/CSU-Kanzlerkandidaten-Duell, die unfassbare Macht der Bürokratie – das sind alles großartige Vorlagen, um Chancen und Risiken der Demokratie zu erläutern beziehungsweise zu veralbern.
Dieter Nuhr und Richard David Precht haben sich jüngst sinngemäß mokiert, man komme in Deutschland derzeit schnell unter die Räder, wenn die eigene Meinung nicht zum gesellschaftlichen Mainstream passt. Wie sehen Sie das?
von Rosenberg Lipinsky: Ich führe diese Diskussion gar nicht. Das sind lächerliche Verhaltensauffälligkeiten von Menschen, die nach Aufmerksamkeit suchen. Und nicht klarkommen, wenn die Mehrheit ihre Auffassung nicht teilt. Oder sogar verurteilt. Deshalb haben wir aber noch lange keine Cancel Culture oder Ähnliches. Im Gegenteil: Unsere individuelle Meinung und auch die künstlerische Freiheit sind eminent wichtig und geschützt. Allerdings muss man halt mit Widerspruch rechnen, wenn man öffentlich dummes Zeug redet.
Als Kulturschaffender waren Sie direkt von den Aus- und Nachwirkungen der Corona-Pandemie betroffen. Ist inzwischen alles wieder „normal“?
von Rosenberg Lipinsky: Normal ist nach wie vor so gut wie gar nichts. Meine Buchungslage ist zum Glück solide. Die meisten Veranstalter haben auch überlebt. Aber das Publikum kommt – unterhalb der Rolling Stones und von Helene Fischer – seit 2020 meistens nur noch kurzfristig und manchmal auch gar nicht. Oder in hellen Scharen. Man weiß es einfach nicht vorher. Daher haben wir alle wieder das Gefühl, Anfänger zu sein. Man fährt irgendwo hin und weiß nicht, was einen erwartet. Quantitativ. Qualitativ ist es irre – die Zuschauer sind meist wirklich entfesselt. Nicht nur dankbar, sondern auch leidenschaftlich. Emotionaler als früher. Finde ich.
Sie haben ein Buch geschrieben mit dem Titel „Die 33 tollsten Ängste – und wie man sie bekommt“. Was ist persönlich Ihre größte Angst, wenn sie in die Zukunft blicken?
von Rosenberg Lipinsky: Meine größte Sorge sind – wie bei allen Eltern – meine Kinder. Also nicht sie selbst, sondern, dass wir ihnen in den vergangenen drei Jahren große Teile ihrer Jugend – und auch ihrer Bildung – genommen haben, um vor allem unsere Alten zu schützen. Den Jungen aber nichts zurückgeben, was zum Beispiel Klimapolitik oder soziale Gerechtigkeit angeht. Die arrogante Borniertheit meiner Generation macht mich wütend. Und besorgt, was den künftigen Zustand der Welt angeht – in der auch meine Kinder leben sollen.
Also sind Sie auf der Bühne doch ein bisschen auch als Seelsorger gefragt?
von Rosenberg Lipinsky: Dazu bin ich dann doch zu albern. Die Zuschauer müssen auch nicht mitsingen. Ein „Amen“ fordert ebenfalls niemand von ihnen. Ganz abgesehen davon, dass ich keinen Talar trage.
Verbindet Sie als gebürtiger Ostwestfale etwas mit den Menschen im Bergischen?
von Rosenberg Lipinsky: Eine gewisse Sturheit verbindet uns bestimmt. Und auch die eher knorrige Art der Kommunikation. Vor allem sind beide Landsmannschaften aber sehr gut am Glas. Das ist super!
Hintergrund
Zur Person: Lutz von Rosenberg Lipinsky studierte evangelische Theologie sowie Deutsche Sprache und Literatur. Seit 1989 ist er als Kabarettist mit Soloprogrammen unterwegs. Er arbeitet zudem als Autor, Moderator und Regisseur. 2012 erschien sein erstes Buch namens „Die 33 tollsten Ängste – und wie man sie bekommt“. 2021 folte das Buch „Petri Heil - Christsein ohne Kirche“. Der 57-jährige geborene Ostwestfale hat zwei Kinder und lebt in Hamburg. Er ist bekennender Fan von Arminia Bielefeld.
Termin: Lutz von Rosenberg Lipinsky ist am Donnerstag, 23. März, um 20 Uhr in der Schatzkiste, Elberfelder Straße 7-9 in Remscheid, zu Gast. Karten gibt es ab 19 Euro unter:
termine.solinger-tageblatt.de