Filmdokumentation

Intime Einblicke in Pina Bauschs Probenarbeit

Eine Filmszene aus der Dokumentation „Ahnen ahnen“.
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Eine Filmszene aus der Dokumentation „Ahnen ahnen“.

Foundation präsentiert Filmdokumentation „Ahnen ahnen“ im Rahmen des Festivals „Wundertal“.

Von Monika Werner-Staude

Wuppertal. Männer schieben Spiegelwände, eine Frau trägt eine in bunten Farben gestrickte Strumpfmaske um den Kopf und eine Glockenkette um den Hals. Eine andere übt Bewegungsabläufe mit ihren Armen. Ein paar Takte Musik, einzelne Worte, ein Schrei, Bruchstücke eines Wortwechsels sind zu hören. Die Gesichter sind ernst, nachdenklich, angestrengt, während ihnen die Kamera ganz nah, fast zu nah kommt. Jede auch noch so kleine Regung, jedes Lächeln, jede einzelne Träne wird sichtbar. „Ahnen ahnen“ ist eine außergewöhnliche Filmdokumentation, weil sie seltene wie intime Einblicke in die Probenarbeit von Pina Bausch und ihrer Compagnie gewährt. Jüngst wurde der 1987 entstandene Film im Cinema gezeigt. Anschließend erinnerten sich Bénédicte Billiet, Julie Anne Stanzak und Jean Laurent Sasportes sowie Kameramann Detlef Erler, die damals dabei gewesen waren.

Beim Auftakt des Festivals „Wundertal“ am Sonntag übersetzten 180 Wuppertaler ihre tiefsten Gefühle in Tanz – Boris Charmatz, Intendant des Tanztheaters Pina Bausch, hatte die Choreographie erarbeitet, Fragen und Aufgaben gestellt, die sie in Bewegung umsetzten. In bester Tradition der großen Choreographin. Der Film, der im Cinema als Beitrag der Pina Bausch Foundation zum Festival gezeigt wurde, führte diese Tradition vor Augen. Und die Menschen, die sie begründet hatten.

Nah mit der Kamera dabei, ohne zu stören

Eine intensive, unverstellte Begegnung mit Pina Bausch (samt Hut und Zigarette), Dominque Mercy, Lutz Förster, Jan Minarik, Beatrice Libonati, Héléna Pikon und vielen anderen, die längst nicht mehr zur Compagnie gehören oder heute Proben leiten. Gefilmt in der heute noch genutzten Lichtburg und auf der heute verschlossenen Bühne des Schauspielhauses. Eine Begegnung (wie) mit versteckter Kamera, die nicht erklärt und einordnet, die einen authentischen Einblick gewährt. Der ahnen (und vielleicht auch verstehen) lässt, wie ein Stück entsteht. Aus einzelnen Schritten werden gemeinsame Szenen, während Pina Bausch ab und an zum Wiederholen oder geändertem Ausprobieren auffordert. Einzelne Kostüme werden übergestülpt, Requisiten tauchen auf. Und man spürt, was dieses Tanztheater so besonders macht. Auch das zärtliche, vertraute und respektvolle Miteinander.

Das Stück, das Pina-Bausch-Themen wie menschliche Ängste oder unerfüllte Sehnsucht nach Geborgenheit und Nähe behandelt, tritt in den Hintergrund. Entstanden ist der Film als Bewerbung um Fördermittel für den Film „Die Klage der Kaiserin“. Ein gefilmtes Drehbuch, die geforderte schriftliche Vorlage gab es nicht, aufgezeichnet wurde bekanntlich erst beim Arbeiten. Auch das wird im Film deutlich, wenn alle die von Pina vorgelesenen Stichworte in ihre Notizbücher schreiben.

36 Jahre später sprechen die vier Zeitzeugen von „der schönsten Zeit ihres Lebens“ (Sasportes), sind dankbar, damals dabei gewesen zu sein. Sie freuen sich, „die Stimme Pinas gehört und die wunderbaren Kollegen“erlebt zu haben (Stanzak). Sie anerkennen, dass sie damals tief überlegen und frei ausprobieren durften, ohne zeitlichen Druck, dass sie sich bei Pina Bausch gut aufgehoben fühlten, ihr blind vertrauten. Weil sie wussten, dass die Choreographin aus ihren Bewegungsangeboten die stimmigen aussuchen und zusammenbauen würde (Sasportes). Zugleich sei es damals eine sehr schwere Arbeit gewesen (Billiet), man habe nie gewusst, wie das ankam, was man als Antwort auf die gestellte Aufgabe erarbeitet und vorgeführt hatte.

Kameramann Erler arbeitete meist mit einem rollenden Stativ und baute dieses ganz nah an den Tänzerinnen und Tänzern auf, weil er sehen wollte, wie diese selbst auf Pinas (nicht zu hörende) Sätze reagierten und wie sie die Reaktionen der anderen beobachteten. Ohne dass er sie dabei störte. Pina habe hinterher aus seinem umfangreichen Material das ihr Wichtige ausgewählt. Da habe er ihr blind vertraut.

Zur Sprache kommt auch der Blick in die Zukunft der Stücke, die so stark auf persönlichen Empfindungen der Tänzerinnen und Tänzer beruhen. Empfindungen, die man weitergeben will, ohne zu wissen, wie der Nachwuchs damit umgeht, wie genau er sie nachmacht oder was er an eigenen Empfindungen dazu tut. „Eine Herausforderung für beide Seiten“, so Julia Anne Stanzak. Man wisse nicht, wie es weitergeht, schaue, wie man die Stücke am besten weitergebe, das brauche auch Zeit, sagt Sasportes und ergänzt zuversichtlich: „Und bisher geht es ja weiter.“

„Ahnen ahnen“

Der Film wurde 2014 als DVD herausgebracht, nachdem die Dokumentation in den Archiven unter Verschluss gelegen hatte. Nach Klärung der Rechte und Erschließung von Fördergeldern konnte die Foundation den Film nun erwerben, demnächst soll er auf ihrer Website (kostenlos) anzuschauen sein. Das Festival „Wundertal“ dauert noch bis zum 29. Mai.

www.pina-bausch.de
www.pinabausch.org

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