„Politisches Tourette?“

Lanz quetscht CDU-Vize zu Merz aus – dann kommt der deutsche „Zusammenbruch“ auf die Agenda

Carsten Linnemann zu Gast bei Markus Lanz
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Carsten Linnemann zu Gast bei Markus Lanz

Markus Lanz debattiert den Ukraine-Krieg: Droht ein Atomschlag oder eine AKW-Katastrophe? Doch lebhaft wird die Runde erst beim Blick auf Deutschland.

Hamburg – Wie es sich anfühlt, wenn morgens im Berufsverkehr Bomben in Kiew einschlagen, möchte Markus Lanz von Katrin Eigendorf wissen. Es mache die Menschen wütend, aber es stärke auch den Willen der Überlebenden, antwortet die ZDF-Korrespondentin. Die Luftangriffe hätten gezeigt, dass es „keine totale Kontrolle“ des Luftraums gebe und die „Menschen von den Raketen überrascht wurden“. Bald, so erwartet sie, werde das Leiden noch größer werden: „Wir werden es mit Menschen zu tun haben, die komplett von der Versorgung abgeschnitten sind.“

Besonders gefährlich sei die Lage in Saporischschja, wo das größte Atomkraftwerk Europas steht. Das Personal sei an der Belastungsgrenze. „Es gibt keine Schichtwechsel mehr, die arbeiten teilweise pausenlos durch“, sagt Eigendorf. Ein Kernkraftwerk mitten in einem Kriegsgebiet sei eine große Gefahr. „Wir reden alle vom möglichen Einsatz von taktischen Atomwaffen, aber im Moment sehe ich die Situation als viel gefährlicher, dass es hier zu einer nuklearen Katastrophe kommen könnte.“

Mit Markus Lanz diskutierten diese Gäste

  • Katrin Eigendorf (ZDF-Journalistin)
  • Carsten Linnemann (stellvertretender CDU-Parteivorsitzender)
  • Julia Löhr (F.A.Z.-Journalistin)
  • Isabella Maria Weber (Ökonomin)

Auch der jüngste Anschlag auf die Krim-Brücke sei noch nicht aufgeklärt. Die Ukraine sage zwar, sie wolle alles zurückerobern, „aber wirklich bekannt hat sich die Ukraine nicht zu diesem Anschlag“. Für Eigendorf ist der Krieg in „eine neue Phase“ eingetreten. Auch der ukrainische Präsident Wolodomyr Selenskyj habe „die Fronten verhärtet“, eine Verhandlungsbereitschaft sei nicht mehr vorhanden.

FAZ-Redakteurin Julia Löhr bestätigt Eigendorfs These: „Dieser Krieg wird noch sehr lange die Weltpolitik bestimmen.“ Sie betont, dass die Amerikaner ihre militärischen Lieferungen „nochmal deutlich aufgestockt haben“. Erst jüngst forderten die USA die Europäische Union auf, endlich die Mittel freizugeben, um die US-Waffenlieferungen zu bezahlen. Der Beitrag Deutschlands sei „eher überschaubar“, so Löhr.

„Ich hätte mir nie vorstellen können, dass wir mit sowas nochmal konfrontiert werden“, sagt CDU-Vize Carsten Linnemann zur Gefahr eines neuen Weltkriegs. „Wo ist Ihre Position?“, will Lanz wissen, „weitere Waffenlieferungen? Jetzt noch mehr?“ Für Linnemann ist klar, jetzt müsse man „Stärke zeigen“. Es sei nötig, „dass wir die Ukrainer unterstützen – mit voller Wucht“. Das Luftabwehrsystem sei „sehr positiv angenommen“ worden. Zu Wladimir Putin gebe es nur eine Einstellung: „Das ist ein Diktator. Der wird weitermachen. Und deswegen muss der gestellt werden.“

Linnemann: Ukraine „bis auf den letzten Tropfen unterstützen“

Angesichts dieser harten Worte greift Lanz die Frage nach der Exit-Strategie noch einmal auf. Der CDU-Politiker atmet schwer und sagt, dass nun eigentlich Diplomatie gefordert wäre. „Ich hoffe, dass im Hintergrund Gespräche laufen.“ Es sei möglich, dass sich der Krieg „noch ein, zwei Jahre hinziehen wird und wir die Ukraine bis auf den letzten Tropfen unterstützen müssen“. Die Ökonomin Isabella Maria Weber lebt allerdings selbst in den USA und hat festgestellt: „Aus der amerikanischen Sicht ist es ein schlimmer Krieg, der aber doch ziemlich weit weg ist.“

Linnemann erzählt von einem Schülerausflug, bei dem eine Schülerin gesagt habe, im Wald stinke es. Ein anderer Schüler habe nach einem Kiosk gefragt. So etwas sei symptomatisch für die heutige Zeit, findet er. Doch Löhr hält Linnemanns Ausflug für deplaziert. „Da können wir ja gerne drüber diskutieren, aber ich finde, es ist nicht das Thema, das aktuell die Menschen drängt.“ Die Union sei „einfach sehr erratisch“. Sie zählt auf, wie sie die Positionen der CDU bisher erlebt hat: „Am Anfang haben sie ein Gas-Embargo gefordert, dann ging es los mit (Gas-)Deckel, dann mit Stromsteuer runter, dann war irgendwie ‚Wünsch dir was‘, als ob das Geld unbegrenzt vorhanden ist, dann haben Sie den Haushalt 2023 als Luftschloss kritisiert. Ich sehe da keine Linie.“

Linnemann geht auf die Niedersachsen-Wahl ein und sagt: „Ich dachte auch, mit Friedrich Merz holen wir mehr Wähler zurück. Das sind ja auch nicht alles Rechtsradikale, da sind ja auch CDU-Wähler dabei, die aus Protest die AfD wählen.“ Er selbst sei gerade für ein paar Tage nach Sachsen gereist, um die Gründe dafür herauszufinden. „Und?“, will Lanz wissen. Linnemann: „Der erste Punkt war, dass die AfD viel stärker vor Ort ist.“ Sie sei offenbar dichter dran an den Problemen der Bürger.

Lanz über Friedrich Merz: Politische Dummheit? Politisches Tourette?

Lanz wirft das Merz-Zitat vom „Sozialtourismus“ der ukrainischen Flüchtlinge ein. „Ist das hilfreich, so ein Wort in die Runde zu werfen?“ Linnemann nimmt Merz in Schutz. „Das wollte er so nicht.“ Lanz lässt das nicht gelten. „Das glauben Sie doch selber nicht. Und dann nochmal über soziale Netzwerke nachgelegt? Ich bitte sie!“ Linnemann gibt zu: „Das war ein absoluter Fehler. Ich weiß nicht, wer das gemacht hat. Es war so keine Absicht, da bleibe ich dabei.“ Kalkül spricht er Merz ab. „Ob Politiker etwas aus taktischen Gründen machen, um bestimmte politische Ziele zu erreichen? Nein!“ Da lege ich meine Hand für ins Feuer, nein.“ Lanz: „Was dann? Politische Dummheit? Poltisches Tourette?“ Linnemann will das Thema beenden: „Das war ein Fehler.“

Für Deutschland sieht Linnemann „die schlimmste Rezession der Geschichte“ kommen. Sogar langfristige US-Staatsanleihen würden momentan weniger Zinsen abwerfen als kurzfristige. Das bedeute, das Vertrauen in den Staat sei verloren. Für Europa sei die Lage noch dramatischer. Der Euro werde weiter abgewertet, Richtung 95 US-Cent. Und das wiederum werde die Preise für Kohle und Gas weiter in die Höhe treiben. Die Ökonomin Weber befürchtet gar einen „langfristigen Strukturzusammenbruch“. „Unser grundlegendes Wirtschaftsmodell wird dabei infrage gestellt“. Deutschland sei in einer Krise, „in der die Struktur dieses Landes auf dem Spiel steht“.

Fazit des Talks bei Markus Lanz

Die Gefahr eines neuen Weltkriegs oder einer historischen Rezession geraten im „Lanz“-Talk immer mehr zur Nebendebatte: Dass ein Atomschlag im Raum steht oder Deutschland langfristig verarmt, wird zwar diskutiert, aber kaum vertieft. Die für die Runde drängenden Themen sind offenbar deutsche Parteipolitik, schlechte Wahlergebnisse und vermeintlich verhätschelte Schüler. (Michael Görmann)

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