KI - Fluch oder Segen?
„Hausaufgaben tot“? Lanz debattiert ChatGPT - de Maizière hat eine Warnung parat
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Experten sehen den Einsatz von Künstlicher Intelligenz bereits als technologische und wirtschaftliche Revolution. Welche Folgen hat er für die Gesellschaft?
Hamburg - Publizist Sascha Lobo ist sicher: „Die Büroarbeit in Deutschland“ werde sich in den nächsten zwei bis fünf Jahren „dramatisch verändern“. Grund dafür ist der Einsatz von Künstlicher Intelligenz, kurz KI. Das Programm ChatGPT der Firma „Open AI“ hat sie zuletzt wieder ganz oben auf die Agenda gebracht.
Zur Veranschaulichung verliest Markus Lanz in seinem Polit-Talk im ZDF einen von ChatGPT verfassten Text: „Sascha Lobo ist der erfolgreichste Autor zu Internet, digitaler Kultur und künstlicher Intelligenz“, zitiert er und kommentiert: „So schleimig waren wir, glaube ich, noch nie“. Lobo reagiert schlagfertig: „Ich fand es korrekt“, grinst er. Doch dann wird er schnell ernst.
Lobo prognostiziert bei „Markus Lanz“ eine „Ära der Automatisierung“, die „massive Auswirkungen“ auf den deutschen Arbeitsmarkt haben werde. Doch im Gegensatz zur Industriellen Revolution im 19. Jahrhundert, die vor allem die Bauern und Arbeiter betraf, werde die technologische Automatisierung dieses Mal die Menschen „mit Abitur und Studium“ betreffen, so Lobo: „die in den Einzelbüros“, die mit „Schlips und Kragen“. Der Publizist mit dem markanten Irokesenschnitt ist sicher: „Eine Vielzahl von Arbeiten, die wir heute per Hand erledigen“ könnten dann „Maschinen machen“.
„Markus Lanz“ - diese Gäste diskutierten mit:
- Thomas de Maizière (CDU) - Bundesminister a.D., Vorsitzender der Deutschen Telekom Stiftung
- Prof. Alena Buyx - Vorsitzende des Deutschen Ethikrates
- Bob Blume - Gymnasiallehrer und Blogger
- Sascha Lobo - Spiegel-Kolumnist
Ethikrat-Vorsitzende Alena Buyx widerspricht nicht und verrät, dass Kollegen am Institut bereits den Chatbot für wissenschaftliche Arbeiten getestet hätten. Herausgekommen sei eine 14-seitige Ausarbeitung zu einem vorgegebenen wissenschaftlichen Thema. „Kein Geniestreich“, so Buyx, aber durchaus eine solide Zusammenfassung auf dem Niveau eines jungen Akademikers.
Auch Minister a.D. Thomas de Maizière berichtet von Erfahrungen aus dem Bereich, so sei unter anderem die unvollendete „10. Sinfonie“ von Beethoven durch künstliche Intelligenz vollendet worden. Doch das Ergebnis sei mäßig gewesen, findet de Maizière, an das Genie Beethovens sei die KI nicht herangekommen.
Gymnasiallehrer warnt: Durch Künstliche Intelligenz seien Hausaufgaben bald tot
Gymnasiallehrer Bob Blume kennt sich gut mit Künstlicher Intelligenz aus, und gibt zu, dass er nicht mehr unterscheiden kann, ob die Leistung von einem Schüler oder dem Computer geniert worden sei. Hausaufgaben seien damit „tot“. An seiner Schule habe es ebenfalls bereits Tests zu den Möglichkeiten gegeben. Doch es gebe bislang noch Bereiche, in denen Schüler besser seien, zum Beispiel, wenn Texte problematisiert werden müssten. Daher appelliert Blume: „Medienkompetenz müsste aus meiner Sicht jetzt exponentiell mehr in Schulen thematisiert werden.“
Schule ist für ihn deshalb zunehmend ein Ort, der sich als „Trainingszentrum der Demokratie“ verstehen sollte. Umso mehr müsse auch das „Soziale“ gelernt werden. Denn wenn „Menschen sich selbstwirksam“ fühlten, „eingebettet“ seien in „soziale Kontexte“ und wüssten, dass ihnen auch „zugehört“ werde, trage es dazu bei, dass sie sich „weniger ohnmächtig fühlen“.
De Maizière fordert grundlegende Reform im Bildungsbereich: Es fummeln zu viele rum
De Maizière stimmt kopfnickend zu und plädiert für eine grundlegende Reform im Bildungsbereich: „So wie das Bildungssystem jetzt strukturiert ist, kann es nicht richtig gut werden. An der Schule fummeln zu viele Leute rum.“ Die Zuständigkeit innerhalb einer Schule liege teils bei den Ländern, teils bei den Kommunen. Zudem sei die Kultusministerkonferenz veraltet, ihre Beschlüsse nicht rechtsbindend. An den Schulen sei bisweilen schon von „brauchbarer Illegalität“ die Rede, ein Pragmatismus, der eigentlich nicht mehr gesetzeskonform sei. „So können sie keinen Staat organisieren“, warnt der Ex-Minister.
Blume hört angeregt zu, bestätigt die Umstände und erinnert an ein noch viel größeres Problem: 80.000 Lehrer, die bald im gesamten Bundesgebiet fehlen würden. Die Digitalisierung, mit der Frontalunterricht zur individuellen Lehre umgestaltet werden könnte, hinke weiter massiv hinterher. Blume: „In Schulen haben wir immer noch Overhead-Projektoren, und ich bin froh, dass man sich nicht mehr hin- und herfaxen muss.“
Lobo ist weniger optimistisch: „Wir sind ja noch am Anfang“, erklärt der Kolumnist die Technik, die sich mit der schier unendlichen Speisung von Daten unentwegt verbessere. Die Maschine habe bereits „die Aufnahmeprüfung der Haward Law School geschafft, das bayerische Abitur allerdings noch nicht“, so der Autor. Doch beim nächsten Level der KI, dem GPT 4, das demnächst ausgespielt werde, seien bereits bis zu 20 Billionen Parameter eingeflossen. „Man kann sich ausmalen“, so Lobo, „was dieses neue Level des Computerprogramms mit sich bringt“. Er ist sich sicher, dass die Art von „Lösungsfindung“, die die Maschine bald bieten werde, mit weiten Teilen der menschlichen „Intelligenz“ gleichziehen wird.
Lobo und De Maizière einig: KI kann eine Gefahr für die Demokratie darstellen
Welche Jobs noch Zukunftsaussichten haben könnten, veranschaulicht De Maizière am Ende der Sendung am Beispiel von Windrädern. Die KI könne die perfekten Standorte errechnen, aber es müsse es immer noch Menschen geben, die bei Wind und Wetter die Materialien aufstellen und bauen. Und es brauche Abgeordnete, um mit den Bürgern zu sprechen und sie von den Maßnahmen zu überzeugen. De Maizière: „Da will ich mal sehen, wie das KI machen soll.“
Einig sind sich Lobo und De Maizière dagegen bei den gesellschaftlichen Gefahren durch KI und Deep Fake. Lobo nennt das Beispiel eines gefälschten Videos von Olaf Scholz und Wladimir Putin. De Maizière stimmt zu: „Nehmen wir mal an, das ist Freitag vor der Bundestagswahl. Da hat man Mühe, das zu demontieren und es hat eine massive politische Wirkung“. So ein Einwirken könne sowohl von innen als auch von außen geschehen. De Maizière: „Da habe ich echt Sorgen, wie wir das in der Demokratie bändigen können.“
Fazit des „Markus Lanz“-Talk
Für Neulinge in Sachen KI bot die Sendung einen umfassenden Einblick in den Stand der Dinge. Für Kenner der Sachlage war der Talk zu niedrigschwellig. Vollkommen unbeachtet blieben die wirtschaftlichen Zusammenhänge der neuen Technik und die politischen Versäumnisse, den Gefahren der neuen Technik ausreichend zu begegnen. (Verena Schulemann)