ARD-Talk mit Heil

„Armselige Gesellschaft, wo Work nicht zum Life gehört“: Arbeitgeber-Chef gibt bei „Hart aber fair“ Gas

Moderator Klamroth mit seinen Gästen bei „Hart aber fair“ am 13.03.2023.
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Moderator Klamroth (r.) mit seinen Gästen bei „Hart aber fair“ am 13.03.2023.

Macht den Deutschen Arbeit keinen Spaß? Oder lohnt sie sich nicht mehr? Eine Malermeisterin liefert bei „Hart aber fair“ den Gegenbeweis.

Berlin – Die „Hart aber fair“-Ausgabe ist gerade zwei Minuten alt, da zerlegt Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) das Motto, das Louis Klamroth dem Abend vorangestellt hatte. Ob die Deutschen „keinen Bock mehr“ auf Arbeit haben, will der Moderator wissen. Und Heil antwortet: „Ich glaube, was die Menschen brauchen, ist eine Zukunft in Arbeit und anständige Arbeits- und Lohnbedingungen und nicht abstrakte Debatten über ihre Arbeitsmoral.“

Doch Klamroth paddelt weiter. Per Einspieler stellt er die Situation dramatisch dar: Forderungen der Gewerkschaften nach zweistelligen Lohnerhöhungen lässt er auf eine Inflationsrate prallen, die im vergangenen Jahr offiziell bei „nur“ 6,9 Prozent gelegen habe. Das Gegenargument – jeder Supermarktkunde weiß, dass die tatsächliche Inflation in vielen Bereichen weitaus höher liegt – lässt er nicht gelten. Erzieherin Karen Malsy erzählt bedrückt, dass sie sich schon überlegen muss, was sie überhaupt noch kaufen kann. Das ist Klamroth nur wenige Sekunden Anteilnahme wert. Er prangert die Einstellung der Menschen an, spricht von der „neuen Macht der Arbeitnehmer: Mehr Geld für weniger Arbeit“. Und überrumpelt Malsy mit der Frage, wie viel sie eigentlich verdiene. Das ist mit rund 3000 Euro brutto im Monat weniger als er selbst für eine Stunde Sendezeit bekommt.

In Steffen Kampeter hat Klamroth einen Mitstreiter. Der BDA-Geschäftsführer tut, was sein Job ist: Als Vertreter der Arbeitgeberseite prangert er die Streiklust der Deutschen an, obwohl er einräumt, dass diese im Vergleich etwa zu Frankreich äußerst moderat ist. Kampeter fordert dennoch „Verhältnismäßigkeit“ und sagt: „Früher war es üblich, am Ende eines Tarifkonflikts zu Streikmaßnahmen zu greifen. Jetzt gehört es zum guten Ton am Beginn eines Tarifkonflikts. Da ist ein bisschen Maß und Mitte verloren gegangen.“ Wenn, wie für den 27. März von den Gewerkschaften angekündigt, „ein ganzes Land blockiert werden soll, dann finde ich das ein unverhältnismäßiges Mittel“.

„Hart aber fair“: Diese Gäste diskutierten mit Louis Klamroth

  • Jessica Hansen (Unternehmerin, Malermeisterin)
  • Hubertus Heil (Bundesarbeitsminister, SPD)
  • Steffen Kampeter (Geschäftsführer Bundesverband der Arbeitgeberverbände BDA)
  • Karen Malsy (Erzieherin)
  • Frank Thelen (Unternehmer, Gründer)
  • Sara Weber (Autorin)

Unternehmer Thelen warnt vor Lohn-Preis-Spirale

Unternehmer Frank Thelen warnt angesichts explodierender Preise und zweistelliger Gewerkschaftsforderungen vor einer Lohn-Preis-Spirale und empfiehlt den Zentralbanken, sie sollten „die Inflation lieber auf zwei, drei Prozent bekommen, ohne die Wirtschaft komplett zu töten“. Wie das funktionieren könnte, verrät er nicht. Und Klamroth fragt auch nicht nach. Kampeter sieht das Problem beim Staat: „Wir brauchen mehr Netto vom Brutto.“ Die Steuerlast müsse reduziert werden.

Arbeitsminister Heil will „einen fairen Ausgleich zwischen Kapital und Arbeit“ – eine Forderung, die eigentlich an ihn statt von ihm gestellt werden müsste. Der Staat solle „einen Rahmen“ setzen. Heil: „Aber ich wünsche mir eigentlich nicht immer höhere Mindestlöhne, sondern wieder mehr anständige Tariflöhne. Das heißt, dass wir uns auch um die Bereiche kümmern müssen, wo es gar keine Tarifverträge gibt. Wir haben nur noch 52 Prozent der Beschäftigten, die unter dem Dach eines Tarifvertrags sind.“ Mit durchschnittlich nur 18 Streiktagen pro Jahr sei Deutschland dabei sehr zurückhaltend. Autorin Sara Weber erinnert daran: „In NRW wurde letztes Jahr 79 Tage lang an den Unikliniken gestreikt, bis was passiert ist. 79 Tage lang.“

Das vermeintliche Missverhältnis zwischen Arbeit und Freizeit, neudeutsch Work-Life-Balance genannt, beschäftigt die Runde minutenlang ohne neue Erkenntnisse. Kampeter: „Dieses Land gründet auf Arbeit. Und auf harter Arbeit.“ Heil weiß: „Wir brauchen bessere Lohn-Arbeitsbedingungen. Ich kenne ein paar junge Leute, die träumen von Feenstaub, aber ich kenne ganz fleißige, junge Azubis, die haben richtig Bock auf Arbeit.“ Kampeter hat die passende Parole auf Lager: „Was für eine armselige Gesellschaft, wo Work nicht zum Life gehört“. Klamroth lacht: „Ach so, schön umdefiniert, Herr Kampeter.“

Hubertus Heil zum Traumjob „Influencer“: „Überleg’s dir nochmal“

Heil erinnert daran, dass es nicht nur Abitur und Studium gibt, sondern auch noch die klassischen Lehrberufe. In der Vorbereitung darauf sieht er Defizite. „Ich finde, dass es ganz wichtig ist, dass es Berufsorientierung an Schulen gibt. Auch an Gymnasien. Ich würde auch jemandem sagen, der mir mit 14, 15, 16 sagt ‚Mein Job ist, Influencer zu werden‘: Überleg’s dir nochmal.“

Für Klamroth ist das offenbar ein überraschender Gedanke: „Was haben Sie gegen Influencer?“, fragt er, und Heil setzt nach: „Überhaupt nichts. Das kann jeder werden. Ich weiß nur eines: Die beste Eintrittskarte ist immer noch eine ordentliche Berufsausbildung.“ Jugendliche hätten heute „manchmal komische Rollenvorbilder“. Autorin Weber, die ihren gutbezahlten Job freiwillig aufgab, erzählt, was auch im Arbeitsleben schiefgehen kann. „Ich konnte mein Leben schon noch genießen, aber nicht mehr genug“, erzählt sie. Das habe ihr auch ihre Therapeutin bestätigt. Deshalb habe sie kündigen müssen. Daraufhin fordert Thelen ein bedingungsloses Grundeinkommen, damit sich jeder den Job aussuchen kann, der ihm gefällt.

Nun berichtet Malermeisterin Jessica Hansen, wie sie ihr Unternehmen wieder attraktiv für Mitarbeiter gemacht hat: mit einer vier-Tage-Woche und flexiblen Arbeitszeiten. Innerhalb von drei Wochen hatte sie 50 Bewerber. Und mehr noch: „Ich habe kaum noch Krankheitstage. Es ist einfach Wahnsinn.“

Fazit des „Hart aber fair“-Talks

Die eigentlichen Gründe für die Probleme am Arbeitsmarkt kamen nicht zur Sprache: Dass Unternehmer Kasse machen und Menschen teilweise mehrere Jobs annehmen müssen, während das Geld trotzdem nicht mehr reicht. Beim tagesaktuellen Thema der „Galeria Kaufhof“-Insolvenz wurde die Schräglage der Diskussion besonders deutlich. Der österreichische Milliardär René Benko will sich hier zum zweiten Mal innerhalb von drei Jahren seine Investitionen vom Steuerzahler erstatten lassen, während 4300 Menschen ihren Job verlieren. Für die Runde, inklusive Hubertus Heil, ist hier dennoch der Staat gefordert, nicht der Unternehmer. (Michael Görmann)

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