Neue Machtzentrale vorgestellt
Xi Jinping sichert sich historische dritte Amtszeit – und könnte China bis an sein Lebensende regieren
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Jetzt ist er der mächtigste Anführer, den China seit Jahrzehnten gesehen hat: Xi Jinping wurde im Amt bestätigt – und hat ausschließlich Loyalisten um sich versammelt.
München/Peking – Es war eine perfekte Inszenierung absoluter Macht: In Peking hat sich am Sonntag (23. Oktober) Chinas Machtzentrale, der Ständige Ausschuss des Politbüros der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh), der Öffentlichkeit präsentiert. Im Goldenen Saal in der Großen Halle des Volkes öffnete sich um kurz nach zwölf Uhr Ortszeit eine schwere Doppeltür, über einen roten Teppich schritten die sieben Mitglieder des Ständigen Ausschusses.
Wieder an der Spitze: Xi Jinping, seit 2012 Chinas starker Mann. Nach zwei Amtszeiten hätte Xi eigentlich Platz für einen Nachfolger machen müssen, so zumindest sahen es die Gepflogenheiten der Partei über viele Jahre vor. In einem historischen Schritt sicherte sich Xi nun aber mindestens fünf weitere Jahre an der Spitze der Kommunisten. Im kommenden Frühjahr wird sich Xi aller Voraussicht nach auch für eine dritte Amtszeit als Staatspräsident bestätigen lassen, dafür ließ er 2018 eigens die chinesische Verfassung ändern. Zudem wird er weiterhin oberster Befehlshaber der Volksbefreiungsarmee bleiben. Xi Jinping, der „Vorsitzende von allem“, wie er bisweilen leicht spöttisch genannt wird, könnte also bis an sein Lebensende China regieren.
Schon jetzt gilt Xi als mächtigster chinesischer Politiker seit Mao Zedong, vielleicht gar als mächtigster Anführer in der Geschichte der Volksrepublik überhaupt. Denn anders als zu Mao-Zeiten, als China ein bettelarmes Land war, ist China heute eine Weltmacht, die bestrebt ist, die internationale Ordnung nach ihren Vorstellungen umzubauen.
Chinas Parteitag ging mit einem Eklat zu Ende
Nach der Schreckensherrschaft Mao Zedongs mit ihren vielen Millionen Toten sollte eigentlich kein chinesischer Anführer mehr eine derart grenzenlose Machtfülle besitzen. Das war eine der Lektionen, die Maos Nachfolger Deng Xiaoping aus der blutigen und chaotischen Geschichte des Landes gezogen hatte. Mit Xis dritter Amtszeit ist nun aber das lange Zeit Undenkbare Realität geworden. Xi hat fast jede innerparteiliche Konkurrenz ausgeschaltet, der kollektive Führungsstil der letzten Jahrzehnte ist Geschichte, Xi ist heute ganz offiziell der „Kern der Partei“. Chinas Ein-Parteien-Herrschaft ist einer Ein-Mann-Herrschaft gewichen, nach zwei Amtszeiten sitzt Xi Jinping so fest im Sattel wie nie. Über Jahrzehnte war „innerparteiliche Demokratie“ ein festes Ziel von Chinas Kommunisten – in Xis Parteitagsrede vom vergangenen Sonntag aber fehlte der Slogan, erstmals seit 45 Jahren.
Chinas Staats- und Parteichef: So stieg Xi Jinping zum mächtigsten Mann der Welt auf




Geendet hatte der Parteitag am Samstag mit einem Eklat: Vor den Augen der Weltöffentlichkeit wurde Xis Vorgänger, der 79-jährige Hu Jintao, von zwei Ordnern und offenbar gegen seinen Willen aus dem Saal geführt. Chinesische Staatsmedien erklärten später, Hu habe sich nicht wohlgefühlt, mittlerweile gehe es ihm aber „viel besser“. Die Szenen hatten Spekulationen ausgelöst, dass Xi Jinping mit der Entfernung Hu Jintaos seine Macht demonstrieren wollte. Der heute 79-jährige Hu, der von 2002 bis 2012 der Kommunistischen Partei vorstand, gilt als Kritiker seines Nachfolgers.
Xi Jinping holt weitere Loyalisten in Chinas Machtzentrale
Die rund 2.300 Delegierten hatten zum Abschluss des Parteitages am Samstag zunächst ein neues Zentralkomitee (ZK) gewählt, dem 205 Mitglieder angehören, darunter nur elf Frauen. Am Sonntag traf sich das ZK dann zu seiner ersten Sitzung und wählte aus seinen Reihen das 25-köpfige Politbüro und dessen siebenköpfigen Ständigen Ausschuss mit Xi Jinping an der Spitze – die chinesische Machtzentrale, in der alle wichtigen Entscheidungen getroffen werden.
Wie erwartet, hat Xi vor allem loyale Politiker um sich geschart. Chefideologe Wang Huning und Zhao Leji, Chef der mächtigen Disziplinkommission der Partei, sind neben Xi die einzigen Mitglieder des Ständigen Ausschusses, die ihre Posten behalten konnten. Neu im Ständigen Ausschuss sind mit Li Qiang, Cai Qi, Ding Xuexiang und Li Xi ausschließlich weitere Xi-Loyalisten. Gemeinsam würden sie „unablässig an der Erfüllung unserer Pflichten arbeiten, um uns des großen Vertrauens unserer Partei und unseres Volkes würdig zu erweisen“, so Xi in einer kurzen Ansprache.
Chinas Machtzentrale: der neue Ständige Ausschuss des Politbüros der Kommunistischen Partei
- Xi Jinping: Generalsekretär der Kommunistischen Partei, 69 Jahre alt
- Li Qiang: Parteichef in Shanghai, enger Vertrauter von Xi, 63 Jahre alt
- Zhao Leji: Chef der Disziplinarkommission, enger Vertrauter von Xi, 65 Jahre alt
- Wang Huning: Xi Jinpings Chefideologe, bereits seit 2017 Mitglied im Ständigen Ausschuss, 67 Jahre alt
- Cai Qi: Parteichef in Peking, Xi-Loyalist, bekannt für unorthodoxen Führungsstil, 66 Jahre alt
- Ding Xuexiang: bislang Leiter des Allgemeinen Büros des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei, enger Vertrauter von Xi, 60 Jahre alt
- Li Xi: Parteichef von Guangdong, Xi-Loyalist, wird sich wohl um den Kampf gegen die Korruption kümmern, 66 Jahre alt
Anders als von vielen Beobachtern erwartet, wurde die Rolle von Xi Jinping in der Parteiverfassung nur in Teilen aufgewertet. So erhielt Xi keinen neuen Titel als „Anführer“, sondern blieb wie bisher „Generalsekretär der KPCh“. Zudem wurden seine politischen Theorien, die sich bereits seit 2018 in der chinesischen Verfassung befinden, nicht auf eine Ebene mit den „Mao-Zedong-Gedanken“ von Chinas Staatsgründer gehoben. Einstimmig bestätigt wurde am Sonntag von den Parteitagsdelegierten hingegen die „zentrale Rolle“ Xis in der KPCh und ihrer Führungsriege. Auch das Konzept der „Zwei Etablierungen“, das Xi als „Kern der Partei“ sowie seine „Ideen für den Sozialismus chinesischer Prägung in einer neuen Ära“ als Leitlinien festschreibt, wurde in die Verfassung aufgenommen. Ebenfalls neu in der Parteiverfassung findet sich Pekings strikte Ablehnung einer Unabhängigkeit Taiwans.
Wer wird Nachfolger für Chinas Premierminister Li Keqiang?
Vier der sieben Mitglieder des Ständigen Ausschusses mussten Chinas Machtzentrale verlassen, darunter Li Keqiang, seit 2013 Premierminister des Landes und stets ein Gegenpol zu Xi und seiner Fraktion. Anders als beim Staatspräsidenten hatte Xi Jinping die Amtszeitbegrenzung für den Premier nicht in der Staatsverfassung ändern lassen – Li (67) wird also im kommenden März, bei der jährlichen Tagung des Nationalen Volkskongresses, abtreten. Wer ihm nachfolgt, wird sich erst dann zeigen. Als aussichtsreichster Kandidat gilt Li Qiang, der am Sonntag direkt hinter Xi Jinping die Große Halle des Volkes betrat. Traditionell ein Indiz, dass er neuer Premierminister wird.
Li Qiang hatte als Parteichef von Shanghai im Frühjahr den chaotischen Lockdown in der Wirtschaftsmetropole zu verantworten. Der 63-Jährige konnte sich allerdings im Amt halten, auch weil er ein ehemaliger Mitarbeiter und enger Vertrauter von Xi Jinping ist. Seine Ernennung zum Premierminister wäre ein weiterer Tabubruch, da Li – anders als es die Gepflogenheiten eigentlich vorsehen – bislang nicht stellvertretender Premier war.
Xi Jinping könnte China und die Welt noch sehr lange prägen
Am vergangenen Sonntag hatte Xi Jinping den Parteitag mit einer knapp zweistündigen Rede eröffnet. Es war eine Beschwörung der eigenen Stärke, gespickt mit marxistischen Propagandabegriffen und Drohungen in Richtung Taiwan. Platz für die wirtschaftlichen Probleme, mit denen das Land zu kämpfen hat, blieb kaum. Stattdessen verteidigte Xi seinen strikten Kurs in der Corona-Pandemie und sagte, die „Null-Covid“-Politik seiner Regierung habe „die physische Gesundheit der Menschen in höchstem Maße geschützt“.
China reagiert noch immer auf Corona-Ausbrüche mit drastischen Quarantänemaßnahmen und harten Lockdowns und konnte so Studien zufolge zwar Hunderttausende Todesfälle verhindern. Gleichzeitig fehlt dem Land aber eine Exit-Strategie, zudem brachte Xis Covid-Politik die chinesische Wirtschaft ins Straucheln. So verzeichnet China die höchste Jugendarbeitslosigkeit seiner Geschichte – fast jeder fünfte junge Mensch zwischen 16 und 24 Jahren ist in Chinas Städten ohne Job. Eine Banken- und eine Immobilienkrise belasten das Land zusätzlich, sodass das Wachstumsziel von 5,5 Prozent, das Premier Li im vergangenen März ausgegeben hatte, kaum mehr zu erreichen ist. Die Weltbank rechnet derzeit mit nur 2,8 Prozent Wirtschaftswachstum im Vorjahresvergleich. Es wäre der niedrigste Wert seit vier Jahrzehnten, vom Pandemie-Jahr 2020 abgesehen.
Auch international gerät Xi Jinping zunehmend unter Druck. Er hält weiterhin zu Wladimir Putin, trotz des Ukraine-Kriegs, lässt in Xinjiang Hunderttausende Uiguren in Lager sperren und droht dem demokratischen Taiwan mit der gewaltsamen Eroberung. Als Xi Jinping 2012 die Macht in China übernahm, galt er vielen, auch im Westen, als Hoffnungsträger, als einer, der China zwar nicht demokratisieren, aber doch öffnen würde. Von dieser Hoffnung ist heute nichts mehr übrig, die USA und zunehmend auch Deutschland gehen auf Distanz zu Xi. Gut möglich aber, dass sie noch sehr lange mit ihm zurechtkommen werden müssen. Denn chinesische Parteichefs haben die Angewohnheit, sehr alt zu werden: Mao starb mit 82, Deng Xiaoping mit 92, und Xis Vorvorgänger Jiang Zemin hat bereits die 96 erreicht. Xi Jinping hingegen ist erst 69 Jahre alt. Manche Beobachter, wie Australiens ehemaliger Premierminister Kevin Rudd, gehen davon aus, dass Xi bis 2037 regieren könnte. Er wäre dann 84 Jahre alt – und die Welt eine andere.
Rubriklistenbild: © Noel Celis/AFP