Blinken sagt Peking-Besuch ab

Vorfall um Spionageballon sorgt für neuen Tiefpunkt zwischen USA und China

US-Außenminister Blinken hat seinen Besuch in Peking verschoben. Grund ist ein angeblicher Spionageballon über Montana für Irritationen – er stammt aus China.

München/Peking/Washington – Die geplante China-Reise von US-Außenminister Antony Blinken schien von Anfang an unter keinem guten Stern zu stehen. Nach einer Woche voller Misstöne sagte Blinken den für Sonntag geplanten Besuch am Freitag kurfristig ab. Ursache war ein vermeintlicher Spionageballon aus China, der am Donnerstag über dem US-Bundesstaat Montana gesichtet worden war. Der Vorfall solle nicht Blinkens Gespräche mit chinesischen Außenpolitikern dominieren, hieß es.

Das US-Verteidigungsministerium hatte am Donnerstag schnell bestätigt, keine Zweifel zu haben, dass der Ballon aus China komme. Zwar erklärte China am Freitag, es handle sich um ein ziviles „Luftschiff“, das „für meteorologische und andere wissenschaftliche Forschungen eingesetzt“ werde und von der Bahn abgekommen sei – der Schaden aber war angerichtet. „China bedauert den unerwarteten Eintritt in den Luftraum der USA durch höhere Gewalt“, sagte ein Außenamtssprecher. China werde weiter mit den USA kommunizieren und angemessen mit dieser „unerwarteten Situation“ umgehen. Es sind ungewohnt leise Töne.

Noch zu Beginn der Woche hatte die Sprecherkollegin Mao Ning gegen die USA gewettert: „Die USA haben die Ukraine-Krise ausgelöst und sind der größte Faktor, der sie anheizt. Sie haben schwere Waffen und Angriffswaffen in die Ukraine geschickt, was den Konflikt nur verlängert und verschärft.“ Wenig später meldete das russische Außenministerium, dass sich Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping im Frühjahr in Moskau mit Wladimir Putin treffen werde – zur „zentralen Veranstaltung in der bilateralen Agenda 2023“, wie es laut Nachrichtenagentur TASS aus dem Kreml hieß.

Keine guten Voraussetzungen, um das angespannte Verhältnis zwischen China und den USA in ruhigere Fahrwasser zu bringen.

China und USA: Handelskrieg trifft Peking ins Mark

Blinkens Besuch in Peking wäre der erste China-Besuch eines US-Außenministers seit viereinhalb Jahren gewesen. Zuletzt war im Oktober 2018 Mike Pompeo in der Volksrepublik. Vor Journalisten kam es damals zu einem offenen Schlagabtausch mit seinem chinesischen Amtskollegen, nach dem Treffen gab es nicht mal ein gemeinsames Abendessen. Noch angespannter war die Atmosphäre im März 2021: Ohne Rücksicht auf diplomatische Gepflogenheiten überzogen sich in einem Sitzungssaal in Alaska die führenden Außenpolitiker beider Länder mit Gehässigkeiten – vor laufenden Kameras.

Ein Treffen Blinkens mit dem neuen chinesischen Außenminister Qin Gang wäre wohl deutlich gesitteter abgelaufen, auch wenn sich an den Streitthemen seit damals wenig geändert hat. Den Handelskrieg gegen China etwa, den die Trump-Regierung einst losgetreten hatte, führt der jetzige US-Präsident Joe Biden unvermindert weiter. Er eskaliert sogar: Ende August 2022 unterzeichnete Biden ein Dekret, das den Export hochmoderner Chips nach China verbietet. Betroffen sind vor allem Halbleiter, die im militärischen Bereich eingesetzt werden können, aber auch in der Zukunftsindustrie der Künstlichen Intelligenz. China trifft diese Entscheidung ins Mark. Zumal Biden mittlerweile auch viele Europäer auf seiner Seite hat.

Ein Spionageballon sorgt derzeit für Unmut in Washington. Das Verhältnis zwischen Xi Jinping und Joe Biden könnte sich weiter abkühlen.

„Die USA sollen ihre Obsession aufgeben, China eindämmen zu wollen“

Gleichzeitig sind die USA dabei, bestehende Allianzen auszubauen, den Blick stets in Richtung Peking. Japan, das in den kommenden Jahren massiv aufrüsten will, arbeitet künftig noch enger mit Washington zusammen. Zudem gewährten die Philippinen, mit denen Peking seit Jahren um Inseln im Südchinesischen Meer streitet, den USA kürzlich Zugang zu vier weiteren Militärstützpunkten. „Die USA sollen ihre Obsession aufgeben, China eindämmen zu wollen“, hieß es am Mittwoch in einem Kommentar des Parteiblatts Volkszeitung. Stattdessen müsse man „Gemeinsamkeiten“ finden, um Probleme wie den Klimawandel, den wirtschaftlichen Abschwung und geopolitische Spannungen anzugehen.

Beide Seiten stehen unter Druck von innen. In China schwächelt die Wirtschaft, die Immobilienkrise schwelt weiter, das demografische Problem verschärft sich. Der US-Analyst Ryan Hass von der Denkfabrik Brookings Institution glaubt, dass Chinas Regierung trotz all dieser Herausforderungen einen eher gemäßigteren Kurs fahren werde: „Um einer kritischen Prüfung ihrer Regierungsführung im Inland entgegenzuwirken, wird sie ihrem Volk das Bild vermitteln wollen, dass ihr im Ausland Würde und Respekt entgegengebracht wird“, schreibt Hass. „Nirgendwo wird eine solche Symbolik wichtiger sein als im amerikanisch-chinesischen Kontext.“ Noch mehr Konfrontation, so Hass, helfe da nicht weiter.

Die USA wiederum könnten Chinas derzeitige Schwäche ausnutzen. Die Entscheidungsträger in Washington sähen Peking momentan „in einer etwas schwächeren Position“, sagt Jude Blanchette vom Center for Strategic and International Studies (CSIS), einer US-Denkfabrik.

„Die Zukunft des Planeten hängt von einer stabilen Beziehung zwischen China und den USA ab“

Zudem liefern sich Demokraten und Republikaner derzeit einen Wettbewerb, wer China gegenüber härter auftreten kann. Ein neuer Ausschuss des US-Repräsentantenhauses, den der Republikaner Mike Gallagher leitet, will die „strategischen Herausforderungen durch die Kommunistische Partei Chinas“ unter die Lupe nehmen; zudem kündigte der neue Sprecher der Parlamentskammer, der Republikaner Kevin McCarthy, einen Taiwan-Besuch an – für China wäre, wie schon bei der Taipeh-Reise von Nancy Pelosi, damit eine rote Linie überschritten. Schon jetzt schickt Peking täglich Kampfjets in Richtung Taiwan, als Zeichen nicht nur an die Regierung in Taipeh, sondern auch an die Biden-Regierung. Es sei dennoch wichtig, miteinander im Gespräch zu bleiben, sagt Blanchette.

China und Taiwan: Darum geht es in dem Konflikt

Taiwans F-16-Kampfjet (links) überwacht einen der beiden chinesischen H-6-Bomber, die den Bashi-Kanal südlich von Taiwan und die Miyako-Straße in der Nähe der japanischen Insel Okinawa überflogen.
Seit Jahrzehnten schon schwelt der Taiwan-Konflikt. Noch bleibt es bei Provokationen der Volksrepublik China; eines Tages aber könnte Peking Ernst machen und in Taiwan einmarschieren. Denn die chinesische Regierung hält die demokratisch regierte Insel für eine „abtrünnige Provinz“ und droht mit einer gewaltsamen „Wiedervereinigung“. Die Hintergründe des Konflikts reichen zurück bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts. © Taiwan Ministry of Defence/AFP
Chinas letzter Kaiser Puyi
Im Jahr 1911 zerbricht das viele Jahrtausende alte chinesische Kaiserreich. Der letzte Kaiser Puyi (Bild) wird abgesetzt, die Xinhai-Revolution verändert China für immer. Doch der Weg in die Moderne ist steinig. Die Jahre nach der Republikgründung waren von Wirren und internen Konflikten geprägt.  © Imago
Porträt von Sun Yatsen auf dem Tiananmen-Platz in Peking
Im Jahr 1912 gründet Sun Yat-sen (Bild) die Republik China. Es folgen Jahre des Konflikts. 1921 gründeten Aktivisten in Shanghai die Kommunistische Partei, die zum erbitterten Gegner der Nationalisten (Guomindang) Suns wird. Unter seinem Nachfolger Chiang Kai-shek kommt es zum Bürgerkrieg mit den Kommunisten. Erst der Einmarsch Japans in China ab 1937 setzt den Kämpfen ein vorübergehendes Ende. © Imago
Mao Zedong ruft die Volksrepublik China aus
Nach Ende des Zweiten Weltkriegs und der Kapitulation Japans flammt der Bürgerkrieg wieder auf. Aus diesem gehen 1949 die Kommunisten als Sieger hervor. Mao Zedong ruft am 1. Oktober in Peking die Volksrepublik China aus (Bild).  © Imago Images
Chiang Kai-shek
Verlierer des Bürgerkriegs sind die Nationalisten um General Chiang Kai-shek (Bild). Sie fliehen 1949 auf die Insel Taiwan. Diese war von 1895 bis 1945 japanische Kolonie und nach der Niederlage der Japaner an China zurückgegeben worden. Auf Taiwan lebt seitdem die 1912 gegründete Republik China weiter. Viele Jahre lang träumt Chiang davon, das kommunistisch regierte Festland zurückzuerobern – während er zu Hause in Taiwan mit eiserner Hand als Diktator regiert. © Imago
Richard Nixon und Zhou Enlai 1972
Nach 1949 gibt es zwei Chinas: die 1949 gegründete Volksrepublik China und die Republik China auf Taiwan, die 1912 gegründet wurde. Über Jahre gilt die taiwanische Regierung als legitime Vertreterin Chinas. Doch in den 70er-Jahren wenden sich immer mehr Staaten von Taiwan ab und erkennen die kommunistische Volksrepublik offiziell an. 1972 verliert Taiwan auch seinen Sitz in den Vereinten Nationen, und Peking übernimmt. Auch die USA brechen mit Taiwan und erkennen 1979 – sieben Jahre nach Richard Nixons legendärem Peking-Besuch (Bild) – die Regierung in Peking an. Gleichzeitig verpflichten sie sich, Taiwan mit Waffenlieferungen zu unterstützen. © Imago/UIG
Chiang Ching-Kuo in Taipeh
Im Jahr 1975 stirbt Taiwans Dikator Chiang Kai-shek. Neuer Präsident wird drei Jahre später dessen Sohn Chiang Ching-kuo (Bild). Dieser öffnet Taiwan zur Welt und beginnt mit demokratischen Reformen. © imago stock&people
Chip made in Taiwan
Ab den 80er-Jahren erlebt Taiwan ein Wirtschaftswunder: „Made in Taiwan“ wird weltweit zum Inbegriff für günstige Waren aus Fernost. Im Laufe der Jahre wandelt sich das Land vom Produzenten billiger Produkte wie Plastikspielzeug zur Hightech-Nation. Heute hat in Taiwan einer der wichtigsten Halbleiter-Hersteller der Welt - das Unternehmen TSMC ist Weltmarktführer. © Torsten Becker/Imago
Tsai Ing-wen
Taiwan gilt heute als eines der gesellschaftlich liberalsten und demokratischsten Länder der Welt. In Demokratie-Ranglisten landet die Insel mit ihren knapp 24 Millionen Einwohnern immer wieder auf den vordersten Plätzen. Als bislang einziges Land in Asien führte Taiwan 2019 sogar die Ehe für alle ein. Regiert wird das Land seit 2016 von Präsidentin Tsai Ing-wen (Bild) von der Demokratischen Fortschrittspartei. © Sam Yeh/AFP
Xi Jinping
Obwohl Taiwan nie Teil der Volksrepublik China war, will Staats- und Parteichef Xi Jinping (Bild) die Insel gewaltsam eingliedern. Seit Jahrzehnten droht die kommunistische Führung mit der Anwendung von Gewalt. Die meisten Staaten der Welt – auch Deutschland und die USA – sehen Taiwan zwar als einen Teil von China an – betonen aber, dass eine „Wiedervereinigung“ nur friedlich vonstattengehen dürfe. Danach sieht es derzeit allerdings nicht aus. Die kommunistiche Diktatur Chinas ist für die meisten Taiwaner nicht attraktiv. © Dale de la Rey/AFP
Militärübung in Kaohsiung
Ob und wann China Ernst macht und in Taiwan einmarschiert, ist völlig offen. Es gibt Analysten, die mit einer Invasion bereits in den nächsten Jahren rechnen – etwa 2027, wenn sich die Gründung der Volksbefreiungsarmee zum 100. Mal jährt. Auch das Jahr 2049 – dann wird die Volksrepublik China 100 Jahre alt – wird genannt. Entscheidend dürfte sein, wie sicher sich China ist, einen Krieg auch zu gewinnen. Zahlenmäßig ist Pekings Armee der Volksrepublik den taiwanischen Streitkräften überlegen. Die Taiwaner sind dennoch gut vorbereitet. Jedes Jahr finden große Militärübungen statt; die Bevölkerung trainiert den Ernstfall, und die USA liefern Hightech-Waffen.  © Sam Yeh/AFP
Xi Jinping auf einem chinesischen Kriegsschiff
Analysten halten es für ebenso möglich, dass China zunächst nicht zu einer Invasion Taiwans blasen wird, sondern mit gezielten Nadelstichen versuchen könnte, den Kampfgeist der Taiwaner zu schwächen. So könnte Xi Jinping (Bild) eine Seeblockade anordnen, um die Insel Taiwan vom Rest der Welt abzuschneiden. Auch ein massiver Cyberangriff wird für möglich gehalten.  © Li Gang/Xinhua/Imago
Protest in Taiwan
Auch wenn die Volksrepublik weiterhin auf eine friedliche „Wiedervereinigung“ mit Taiwan setzt: Danach sieht es derzeit nicht aus. Denn die meisten Taiwaner fühlen sich längst nicht mehr als Chinesen, sondern eben als Taiwaner. Für sie ist es eine Horrorvorstellung, Teil der kommunistischen Volksrepublik zu werden und ihre demokratischen Traditionen und Freiheiten opfern zu müssen. Vor allem das chinesische Vorgehen gegen die Demokratiebewegung in Hongkong hat ihnen gezeigt, was passiert, wenn die Kommunistische Partei den Menschen ihre Freiheiten nimmt. © Ritchie B. Tongo/EPA/dpa

Treffen zwischen Politikern beider Seiten gab es zuletzt viele. Auf dem G20-Gipfel in Bali sprachen Joe Biden und Xi Jinping miteinander, auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos traf sich unlängst US-Finanzministerin Janet Yellen mit dem chinesischen Vizepremier Liu He. Im kommenden November könnte Xi Jinping nach San Francisco reisen, zum Treffen der APEC-Staaten.

Kurz bevor Qin Gang sein Amt als chinesischer Botschafter in den USA niederlegte, um in Peking neuer Außenminister zu werden, veröffentlichte er in der Washington Post einen Meinungsartikel. Die Überschrift des Textes fasst zusammen, was derzeit auf dem Spiel steht, wenn die beiden Großmächte zusammenprallen: „Die Zukunft des Planeten hängt von einer stabilen Beziehung zwischen China und den USA ab“, schrieb Qin. Ein Spionageballon über dem Himmel von Montana dürfte dabei allerdings kaum hilfreich sein.

Anmerkung: Der Artikel wurde nach der Absage der Reise von US-Außenminister Antony Blinken sowie aufgrund der chinesischen Stellungnahme, bei dem angeblichen Spionageballon handle es sich um ein „Luftschiff“, zweimal aktualisiert.

Rubriklistenbild: © Noel Celis/Alex Wong/Chase Doak/afp (Montage)

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