Menschenrechtsverletzungen

„Totalitäres Herrschaftsmodell“: China sammelt massenhaft DNA-Proben von Tibetern

Ein Foto der chinesischen Sicherheitsbehörden zeigt das Sammeln einer DNA-Probe in der tibetischen Stadt Lhaze.
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Dieses Foto der chinesischen Sicherheitsbehörden zeigt das Sammeln einer DNA-Probe in der tibetischen Stadt Lhaze.

China verschärft die Kontrolle über das besetzte Tibet: Berichten zufolge sammeln die Behörden Hunderttausende DNA-Proben. Menschenrechtler sind entsetzt.

München/Lhasa/Peking – Wenn am Sonntag (16. Oktober) der 20. Parteitag von Chinas Kommunisten beginnt, finden sich unter den fast 2.300 Abgeordneten, die für rund eine Woche in Peking zusammenkommen, wie jedes Jahr auch Vertreterinnen und Vertreter der ethnischen Minderheiten des Landes. Die Botschaft, die Chinas Führung aussenden will, ist klar: China mag ein Vielvölkerstaat sein, aber alle Ethnien ziehen gemeinsam an einem Strang, um das Land in eine glorreiche Zukunft zu führen.

Die Wirklichkeit sieht anders aus. In Xinjiang geht Peking seit Jahren mit äußerster Brutalität gegen die Uiguren vor, Hunderttausende sollen in Umerziehungslagern eingesperrt sein. Und auch in Tibet, das 1950 von Chinas Volksbefreiungsarmee besetzt wurde, ist die Menschenrechtslage desolat. Immer wieder kommt es zu Selbstverbrennungen verzweifelter Tibeterinnen und Tibeter, die auf ihre Lage aufmerksam machen wollen. China, so ihr Vorwurf, unterdrücke die tibetische Sprache und die freie Religionsausübung und stecke Kritiker ins Gefängnis. Kinder, so Menschenrechtler, würden gegen ihren Willen in Internate gesteckt, wo wie indoktriniert werden.

„Die Partei und der Staat wirken aktiv auf den Staat und die Gesellschaft ein und versuchen, in den privaten Lebensbereich der Tibeter vorzudringen“, sagt Kai Müller, Geschäftsführer der International Campaign for Tibet (ICT), im Gespräch mit der Frankfurter Rundschau von IPPEN.MEDIA. „Wer sich gegen diese Strategie wehrt, wer versucht, sich seine Identität zu bewahren, wird verfolgt. Das ist ein totalitäres Herrschaftsmodell, das in Tibet umgesetzt wird.“

Die Geschichte der Volksrepublik China von 1949 bis heute

Am 1. Oktober 1949 ruft Mao Zedong in Peking die Volksrepublik China aus.
Am 1. Oktober 1949 ruft Mao Zedong in Peking die Volksrepublik China aus. Zuvor hatten sich Maos Kommunisten im chinesischen Bürgerkrieg gegen die Nationalisten durchgesetzt, die nach Taiwan geflohen waren. © Xinhua/Imago
Mit dem „Großen Sprung nach Vorne“ (1958-1961) sollte die Produktion vorangetrieben werden.
Eines der Hauptziele der neuen Regierung war die wirtschaftliche Entwicklung des verarmten Chinas. Mit dem „Großen Sprung nach Vorne“ (1958-1961) sollte die Produktion vorangetrieben werden. Doch Fehler in der Planung und Naturkatastrophen sorgen für eine Hungersnot, der 15 bis 55 Millionen Menschen zum Opfer fielen. © agefotostock/Imago
1959 kam es in Tibet zu einem Aufstand gegen die Besatzer.
Bereits kurz nach der Machtübernahme besetzte die chinesische Volksbefreiungsarmee das bis dahin faktisch unabhängige Tibet. 1959 kam es zu einem Aufstand gegen die Besatzer, woraufhin der Dalai Lama das Land verlassen musste. Heute lebt er im indischen Exil. © United Archives International/Imago
Von 1966 bis 1976 erschütterte die Kulturrevolution China.
Von 1966 bis 1976 erschütterte die Kulturrevolution China. Mit der Kampagne wollte Mao mit den Mitteln des Klassenkampfes die chinesische Gesellschaft von „konterrevolutionären“ Elementen befreien; zudem zementierte er seine Macht an der Spitze des Staates. Der Kulturrevolution fielen Hunderttausende Menschen zum Opfer. © Photos12/Imago
1972 besuchte mit Richard Nixon erstmals ein US-Präsident die Volksrepublik.
Anfang der 70er-Jahre öffnete sich China aber auch nach Westen. 1972 besuchte mit Richard Nixon erstmals ein US-Präsident die Volksrepublik. Im selben Jahr nahm Deutschland diplomatische Beziehungen mit Peking auf. © agefotostock/Imagao
Mao starb 1976. Nach einem parteiinternen Machtkampf setzte sich schließlich Deng Xiaoping als neuer Führer der Volksrepublik durch. Deng leitete die Geschicke Chinas bis zu seinem Tod im Jahr 1997.
Mao starb 1976. Nach einem parteiinternen Machtkampf setzte sich schließlich Deng Xiaoping als neuer Führer der Volksrepublik durch. Deng leitete die Geschicke Chinas bis zu seinem Tod im Jahr 1997. © imago stock&people
Deng Xiaoping trieb die Öffnung Chinas voran.
Deng Xiaoping trieb die Öffnung Chinas voran. Demokratische Reformen blieben aus, die Wirtschaft entwickelte sich allerdings rasant. Auch ausländische Unternehmen wie Volkswagen engagierten sich nun in China. © Sepp Spiegl/Imago
Im Frühjahr 1989 kam es in Peking zu Demonstrationen von Studenten, die Reformen und eine Demokratisierung Chinas forderten. In der Nacht auf den 4. Juni 1989 eskalierte die Lage, der Tiananmen-Platz im Herzen Pekings wurde geräumt, die Demokratiebewegung blutig niedergeschlagen. Hunderte Menschen starben.
Im Frühjahr 1989 kam es in Peking zu Demonstrationen von Studenten, die Reformen und eine Demokratisierung Chinas forderten. In der Nacht auf den 4. Juni 1989 eskalierte die Lage, der Tiananmen-Platz im Herzen Pekings wurde geräumt, die Demokratiebewegung blutig niedergeschlagen. Hunderte Menschen starben. © Jeff Widener/dpa
Am 1. Juli 1997 wurde Hongkong, die ehemalige britische Kronkolonie, an China zurückgegeben.
Am 1. Juli 1997 wurde Hongkong, die ehemalige britische Kronkolonie, an China zurückgegeben. Gouverneur Chris Patten erhielt die eingeholte britische Nationalflagge, die chinesische Flagge wurde gehisst.  © UPI Photo/Imago
Heute ist Shanghai das wirtschaftliche Zentrum des Landes, dort befindet sich auch der größte Hafen der Welt.
Chinas Wirtschaft entwickelte sich in den 90er-Jahren, vor allem aber ab dem Beitritt der Volksrepublik zur Welthandelsorganisation 2001, rasant. Heute ist Shanghai das wirtschaftliche Zentrum des Landes, dort befindet sich auch der größte Hafen der Welt. © Ivan Tykhyi/Panthermedia/Imago
Unter Xi Jinping, seit 2012 Parteichef und seit 2013 Staatspräsident, wird China immer autoritärer regiert.
Trotz des wirtschaftlichen Erfolgs: Der Handel mit dem Westen brachte China keinen demokratischen Wandel - im Gegenteil. Unter Xi Jinping, seit 2012 Parteichef und seit 2013 Staatspräsident, wird China immer autoritärer regiert. Es entstand ein neuer Personenkult, der an die Mao-Ära erinnert. © imago stock&people
In der Provinz Xinjiang gingen die Behörden gegen die muslimischen Uiguren vor. Hunderttausende Menschen sollen dort in Umerziehungslagern eingesperrt sein.
China wurde immer mehr zum Polizei- und Überwachungsstaat. In Hongkong wurde die Demokratiebewegung brutal niedergeschlagen, in der Provinz Xinjiang gingen die Behörden gegen die muslimischen Uiguren vor. Hunderttausende Menschen sollen dort in Umerziehungslagern eingesperrt sein. © UPI Photo/Imago

China sammelt massenhaft DNA-Proben in Tibet – und anderswo im Land

Seit Kurzem nutzt Peking offenbar ein weiteres Instrument, um die Menschen in Tibet besser kontrollieren zu können. Laut Untersuchungen der Universität Toronto und der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch sammelt die Regierung massenhaft DNA-Proben der tibetischen Bevölkerung. Seit Mitte 2016, so die Universität Toronto, seien bis zu 1,2 Millionen DNA-Proben entnommen worden – das entspräche fast einem Drittel der Bevölkerung, die in der Autonomen Region Tibet lebt. Betroffen seien Männer, Frauen und Kinder. Die Proben würden zudem unter Zwang entnommen.

Auch in anderen Landesteilen lässt die Regierung von Staats- und Parteichef Xi Jinping seit Jahren massenhaft DNA-Proben sammeln. So arbeitet die chinesische Regierung Berichten zufolge an einer Datenbank, die DNA-Proben und Stammbaumdaten von bis zu 70 Millionen Männern beinhalten soll. Begründet wird das gigantische Überwachungsprogramm mit der Verbrechensbekämpfung.

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Menschenrechtler kritisiert China: „Hoch technisierter Überwachungsstaat, der keine Grenzen kennt“

In Tibet, ebenso wie in Xinjiang, geht es aber offenbar um etwas anderes: „Die massenhafte DNA-Entnahme scheint in keinem Zusammenhang mit laufenden strafrechtlichen Ermittlungen zu stehen“, schreiben die Forscherinnen und Forscher der Universität Toronto. „Stattdessen deuten unsere Nachforschungen darauf hin, dass die massenhafte DNA-Sammlung eine Form der sozialen Kontrolle ist, die sich gegen das tibetische Volk richtet.“

Die chinesischen Behörden wiederum behaupten, man wolle mit der Maßnahme die soziale Stabilität sichern, mit den gesammelten Daten Verbrechen bekämpfen und vermisste Personen finden. Kai Müller von der International Campaign for Tibet glaubt das nicht. „Wir haben es in China mit einem hoch technisierten Überwachungsstaat zu tun, der keine Grenzen kennt“, sagt er. (sh)

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