Konflikt mit Peking

Neuer Parteiführer legt sich mit China an: „Taiwan ist bereits ein unabhängiges Land“

Taiwans Regierungspartei hat einen neuen Chef: William Lai könnte im kommenden Jahr neuer Präsident des Landes werden – und geht schon jetzt auf Konfrontationskurs mit China.

München/Taipeh – Bei Grün sieht China rot: Grün, das ist die Farbe von Taiwans Demokratischer Fortschrittspartei (DPP), deren langjährige Vorsitzende Tsai Ing-wen seit 2016 Präsidentin des demokratisch regierten und von China beanspruchten Landes ist. Die DPP ist neben der Kuomintang (KMT) eine der beiden großen Parteien Taiwans, und anders als die KMT ist sie traditionell eher Peking-kritisch eingestellt und strebt langfristig eine formelle Unabhängigkeit von China an. Damit vertritt die Fortschrittspartei eine Position, die auch immer mehr Taiwaner befürworten, wie Umfragen aus den letzten Jahren zeigen. Bei den Kommunalwahlen im vergangenen November aber wurde die DDP von den Wählerinnen und Wähler abgestraft. Sie gewann nur fünf der zu vergebenden Posten, die KMT hingegen fast dreimal so viele. Präsidentin Tsai legte daraufhin ihr Amt als Parteivorsitzende nieder.

Jetzt hat die DDP einen neuen Chef – und damit auch einen wahrscheinlichen Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen im kommenden Jahr. Denn Tsai selbst darf nach zwei Amtszeiten nicht mehr antreten. Der Neue an der Spitze von Taiwans Regierungspartei heißt Lai Ching-te, ist 63 Jahre alt, nennt sich auf Englisch William Lai – und ist seit gut zweieinhalb Jahren taiwanischer Vizepräsident.

China und Taiwan: Darum geht es in dem Konflikt

Taiwans F-16-Kampfjet (links) überwacht einen der beiden chinesischen H-6-Bomber, die den Bashi-Kanal südlich von Taiwan und die Miyako-Straße in der Nähe der japanischen Insel Okinawa überflogen.
Seit Jahrzehnten schon schwelt der Taiwan-Konflikt. Noch bleibt es bei Provokationen der Volksrepublik China; eines Tages aber könnte Peking Ernst machen und in Taiwan einmarschieren. Denn die chinesische Regierung hält die demokratisch regierte Insel für eine „abtrünnige Provinz“ und droht mit einer gewaltsamen „Wiedervereinigung“. Die Hintergründe des Konflikts reichen zurück bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts. © Taiwan Ministry of Defence/AFP
Chinas letzter Kaiser Puyi
Im Jahr 1911 zerbricht das viele Jahrtausende alte chinesische Kaiserreich. Der letzte Kaiser Puyi (Bild) wird abgesetzt, die Xinhai-Revolution verändert China für immer. Doch der Weg in die Moderne ist steinig. Die Jahre nach der Republikgründung waren von Wirren und internen Konflikten geprägt.  © Imago
Porträt von Sun Yatsen auf dem Tiananmen-Platz in Peking
Im Jahr 1912 gründet Sun Yat-sen (Bild) die Republik China. Es folgen Jahre des Konflikts. 1921 gründeten Aktivisten in Shanghai die Kommunistische Partei, die zum erbitterten Gegner der Nationalisten (Guomindang) Suns wird. Unter seinem Nachfolger Chiang Kai-shek kommt es zum Bürgerkrieg mit den Kommunisten. Erst der Einmarsch Japans in China ab 1937 setzt den Kämpfen ein vorübergehendes Ende. © Imago
Mao Zedong ruft die Volksrepublik China aus
Nach Ende des Zweiten Weltkriegs und der Kapitulation Japans flammt der Bürgerkrieg wieder auf. Aus diesem gehen 1949 die Kommunisten als Sieger hervor. Mao Zedong ruft am 1. Oktober in Peking die Volksrepublik China aus (Bild).  © Imago Images
Chiang Kai-shek
Verlierer des Bürgerkriegs sind die Nationalisten um General Chiang Kai-shek (Bild). Sie fliehen 1949 auf die Insel Taiwan. Diese war von 1895 bis 1945 japanische Kolonie und nach der Niederlage der Japaner an China zurückgegeben worden. Auf Taiwan lebt seitdem die 1912 gegründete Republik China weiter. Viele Jahre lang träumt Chiang davon, das kommunistisch regierte Festland zurückzuerobern – während er zu Hause in Taiwan mit eiserner Hand als Diktator regiert. © Imago
Richard Nixon und Zhou Enlai 1972
Nach 1949 gibt es zwei Chinas: die 1949 gegründete Volksrepublik China und die Republik China auf Taiwan, die 1912 gegründet wurde. Über Jahre gilt die taiwanische Regierung als legitime Vertreterin Chinas. Doch in den 70er-Jahren wenden sich immer mehr Staaten von Taiwan ab und erkennen die kommunistische Volksrepublik offiziell an. 1972 verliert Taiwan auch seinen Sitz in den Vereinten Nationen, und Peking übernimmt. Auch die USA brechen mit Taiwan und erkennen 1979 – sieben Jahre nach Richard Nixons legendärem Peking-Besuch (Bild) – die Regierung in Peking an. Gleichzeitig verpflichten sie sich, Taiwan mit Waffenlieferungen zu unterstützen. © Imago/UIG
Chiang Ching-Kuo in Taipeh
Im Jahr 1975 stirbt Taiwans Dikator Chiang Kai-shek. Neuer Präsident wird drei Jahre später dessen Sohn Chiang Ching-kuo (Bild). Dieser öffnet Taiwan zur Welt und beginnt mit demokratischen Reformen. © imago stock&people
Chip made in Taiwan
Ab den 80er-Jahren erlebt Taiwan ein Wirtschaftswunder: „Made in Taiwan“ wird weltweit zum Inbegriff für günstige Waren aus Fernost. Im Laufe der Jahre wandelt sich das Land vom Produzenten billiger Produkte wie Plastikspielzeug zur Hightech-Nation. Heute hat in Taiwan einer der wichtigsten Halbleiter-Hersteller der Welt - das Unternehmen TSMC ist Weltmarktführer. © Torsten Becker/Imago
Tsai Ing-wen
Taiwan gilt heute als eines der gesellschaftlich liberalsten und demokratischsten Länder der Welt. In Demokratie-Ranglisten landet die Insel mit ihren knapp 24 Millionen Einwohnern immer wieder auf den vordersten Plätzen. Als bislang einziges Land in Asien führte Taiwan 2019 sogar die Ehe für alle ein. Regiert wird das Land seit 2016 von Präsidentin Tsai Ing-wen (Bild) von der Demokratischen Fortschrittspartei. © Sam Yeh/AFP
Xi Jinping
Obwohl Taiwan nie Teil der Volksrepublik China war, will Staats- und Parteichef Xi Jinping (Bild) die Insel gewaltsam eingliedern. Seit Jahrzehnten droht die kommunistische Führung mit der Anwendung von Gewalt. Die meisten Staaten der Welt – auch Deutschland und die USA – sehen Taiwan zwar als einen Teil von China an – betonen aber, dass eine „Wiedervereinigung“ nur friedlich vonstattengehen dürfe. Danach sieht es derzeit allerdings nicht aus. Die kommunistiche Diktatur Chinas ist für die meisten Taiwaner nicht attraktiv. © Dale de la Rey/AFP
Militärübung in Kaohsiung
Ob und wann China Ernst macht und in Taiwan einmarschiert, ist völlig offen. Es gibt Analysten, die mit einer Invasion bereits in den nächsten Jahren rechnen – etwa 2027, wenn sich die Gründung der Volksbefreiungsarmee zum 100. Mal jährt. Auch das Jahr 2049 – dann wird die Volksrepublik China 100 Jahre alt – wird genannt. Entscheidend dürfte sein, wie sicher sich China ist, einen Krieg auch zu gewinnen. Zahlenmäßig ist Pekings Armee der Volksrepublik den taiwanischen Streitkräften überlegen. Die Taiwaner sind dennoch gut vorbereitet. Jedes Jahr finden große Militärübungen statt; die Bevölkerung trainiert den Ernstfall, und die USA liefern Hightech-Waffen.  © Sam Yeh/AFP
Xi Jinping auf einem chinesischen Kriegsschiff
Analysten halten es für ebenso möglich, dass China zunächst nicht zu einer Invasion Taiwans blasen wird, sondern mit gezielten Nadelstichen versuchen könnte, den Kampfgeist der Taiwaner zu schwächen. So könnte Xi Jinping (Bild) eine Seeblockade anordnen, um die Insel Taiwan vom Rest der Welt abzuschneiden. Auch ein massiver Cyberangriff wird für möglich gehalten.  © Li Gang/Xinhua/Imago
Protest in Taiwan
Auch wenn die Volksrepublik weiterhin auf eine friedliche „Wiedervereinigung“ mit Taiwan setzt: Danach sieht es derzeit nicht aus. Denn die meisten Taiwaner fühlen sich längst nicht mehr als Chinesen, sondern eben als Taiwaner. Für sie ist es eine Horrorvorstellung, Teil der kommunistischen Volksrepublik zu werden und ihre demokratischen Traditionen und Freiheiten opfern zu müssen. Vor allem das chinesische Vorgehen gegen die Demokratiebewegung in Hongkong hat ihnen gezeigt, was passiert, wenn die Kommunistische Partei den Menschen ihre Freiheiten nimmt. © Ritchie B. Tongo/EPA/dpa

Konflikt mit China: „Die Zukunft Taiwans kann nur von seinen 23 Millionen Einwohner bestimmt werden“

Aus Sicht der Regierung in Peking ist Lai aber vor allem eines: ein Ärgernis. Lai hatte sich bereits 2017 als „politischen Arbeiter für die taiwanische Unabhängigkeit“ bezeichnet. Und Peking weist bekanntermaßen alle Versuche Taiwans, sich als unabhängiges Land zu präsentieren, empört zurück. 2018, damals war Lai noch Premierminister, forderte Chinas Propagandablatt Global Times gar, Lai solle per internationalem Haftbefehl gesucht und an die Volksrepublik ausgeliefert werden. Immerhin: Kürzlich erst rüstete Lai verbal etwas ab. Den Slogan „Widerstand gegen China und Schutz Taiwans“, den Tsai Ing-wen 2020 geprägt hatte, änderte Lai nun ab in „Taiwan friedlich beschützen“.

Wobei Peking freilich auch an dieser neuen Wortwahl etwas auszusetzen hat: Es sei „nicht miteinander vereinbar“, von Frieden zu sprechen und gleichzeitig die Unabhängigkeit Taiwans von China zu fordern, erklärte in Peking Ma Xiaoguang, der Sprecher von Chinas Büro für Taiwan-Angelegenheiten. „Wenn einige Politiker auf der Insel wirklich Frieden in der Straße von Taiwan wollen, sollten sie ihre separatistische Haltung zur ‚Unabhängigkeit Taiwans‘ aufgeben“, so Ma weiter.

Einer formellen Unabhängigkeitserklärung erteilte Lai unlängst eine Absage – allerdings mit Worten, die kaum im Sinne Pekings waren. „Ich möchte noch einmal betonen, dass Taiwan bereits eine unabhängige und souveräne Nation ist und wir daher keinen Grund haben, die Unabhängigkeit Taiwans zu erklären“, sagte Lai auf einer Pressekonferenz, nachdem er das Amt als Vorsitzender der DDP übernommen hatte. Und: „Die Zukunft Taiwans kann nur von seinen 23 Millionen Einwohner bestimmt werden.“

Beziehungen zwischen Taiwan und China sind auf einem neuen Tiefpunkt

Seit Tsai Ing-wen von der DDP Präsidentin Taiwan ist, haben sich die Beziehungen zur Volksrepublik stetig verschlechtert, mit dem Besuch von Nancy Pelosi im vergangenen Sommer war ein neuer Tiefpunkt erreicht. Seitdem hat China massive Militärmanöver rund um Taiwan durchgeführt und schickt täglich Kampfjets in die Region. Der Status quo gerät ins Wanken. Im Oktober beteuerte Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping erneut, die Taiwan-Frage zwar möglichst friedlich lösen zu wollen. Peking werde aber „niemals versprechen, auf die Anwendung von Gewalt zu verzichten“. Vor diesem Hintergrund verlangt Eric Chu, Anführer der oppositionellen KMT, Klarheit von Lai: Was genau meint er damit, wenn er sich einen „Arbeiter für die taiwanische Unabhängigkeit“ nennt? Und was folgt daraus? Konkrete Ansätze bleibt Lai bislang schuldig.

William Lai im Jahr 2020: Der neue DDP-Vorsitzende ist ein wahrscheinlicher Kandidat für die Präsidentschaftswahl im kommenden Jahr.

Präsidentin Tsai hatte im November die Bedrohung durch China ins Zentrum des Wahlkampfes gestellt, mit diesem Thema aber offenbar nicht verfangen. Das lag einerseits daran, dass die Außenpolitik bei Regionalwahlen in der Regel eine eher untergeordnete Rolle spielt. Außerdem musste die DDP wegen ihres planlosen Umgangs mit der Pandemie im zweiten Corona-Jahr 2021 Federn lassen. Viele Wähler waren aber auch frustriert darüber, dass Taiwan in den vergangenen Jahren zwar rhetorisch aufgerüstet hat, gleichzeitig aber nicht genug Geld in die Verteidigung steckt. Erst vor wenigen Wochen hatte Tsai angekündigt, die Dauer der Wehrpflicht von bislang vier Monaten auf ein Jahr zu verdreifachen – ein längst überfälliger Schritt, wie viele Experten sagen.

Ein Krieg zwischen China und Taiwan ist „keine Option“

Unter Tsai Ing-wen brachen zudem sämtliche Gesprächskanäle mit Peking ab. Das habe, so der taiwanische Journalist Hilton Yip, zu Verunsicherung im Land geführt. Es sei, sagt Yip, also „nicht verwunderlich“, dass viele Wähler ihrer Stimme lieber der China-freundlichen KMT gegeben haben als Tsais Regierungspartei. „Sie hoffen, Peking zu besänftigen, könnte einen Krieg verhindern.“ Denn – und auch das besagen Umfragen: Die meisten Taiwaner wollen am Status quo festhalten. Selbst die große Mehrheit der Unabhängigkeitsbefürworter will sich nicht sofort von Peking lossagen. Für sie ist der derzeitige Schwebezustand die beste Lösung.

Worin sich alle in Taiwan einig sind, das machte Präsidentin Tsai unlängst in einem Brief an Papst Franziskus deutlich, dessen Vatikanstadt als einziger Staat in Europa diplomatische Beziehungen mit Taipeh führt: Ein Krieg mit China, so Tsai, sei „keine Option“.

Rubriklistenbild: © Sam Yeh/afp (Archivfoto)

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