Neue Regierung in Peking

Chinas neuer Ministerpräsident Li Qiang: Xi Jinpings Erfüllungsgehilfe oder echter Wirtschaftsreformer?

Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping und der neue Ministerpräsident Li Qiang reden am Freitag auf dem Nationalen Volkskongress
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Nummer Eins und Nummer Zwei auf dem Volkskongress: Der Xi-Vertraute Li Qiang (r) ist neuer Ministerpräsident Chinas

Chinas neuer Ministerpräsident Li Qiang gilt als Loyalist von Staatschef Xi Jinping. Er verantwortete den radikalen Lockdown in Shanghai. Doch bis dahin hatte er als wirtschaftsfreundlicher Technokrat agiert.

Peking/München – Er gilt als Vollstrecker des Hardcore-Lockdowns von Shanghai. Und er ist Chinas starkem Mann Xi Jinping seit Jahren treu ergeben. Die Erwartungen an den neuen Ministerpräsidenten Li Qiang sind im Westen daher überschaubar. Doch diese Label werden dem 63-Jährigen nicht unbedingt gerecht. Denn es gibt eine Seite Lis, die in den aufgeregten vergangenen Monaten eher untergegangen ist: Er hat sich über viele Jahre einen Ruf als wirtschaftsfreundlicher Pragmatiker erarbeitet. Am Samstag nun ernannte ihn der Nationale Volkskongress für fünf Jahre zum Regierungschef. Und der kümmert sich traditionell vor allem um die Wirtschaft.

Wie er tickt, deutete Li vor zehn Jahren in einem Interview mit dem Wirtschaftsmagazin Caixin an. Sein Ideal sei eine Regierung mit begrenzter Macht, die gut funktioniert und effizient ist, so Li damals: „Wir müssen die Einmischung der Regierung in mikroökonomische Aktivitäten reduzieren – und ihre Hände zurück an ihren Platz legen.“

Als Parteichef von Shanghai holte Li den US-Elektroautobauers Tesla in die Metropole und regelte den Fabrikbau unbürokratisch. Tesla war 2019 die erste ausländische Autofirma, die als alleiniger Betreiber – ohne chinesischen Joint-Venture-Partner – an den Start gehen durfte. Während der Corona-Pandemie gab die Stadtregierung laut Tesla alles, um die Produktion irgendwie aufrechtzuerhalten. „Die Regierung von Shanghai hat sich ein Bein ausgerissen“, schrieb Tu Le, Geschäftsführer des Beratungsunternehmens Sino Auto Insights. Derselbe Einsatz galt damals auch für andere Firmen.

Auch versuchte Li, die Produktion des Biontech-Impfstoffs gegen Covid-19 in Shanghai anzusiedeln. Dazu soll er direkt mit Biontech-Gründer Uğur Şahin telefoniert haben. Biontech hatte bereits einen Vertrag mit dem Shanghaier Konzern Fosun Pharma für eine Lizenzproduktion unterschrieben, als Peking auf Geheiß von Xi das Projekt stoppte. Die Zentrale setzt aus nationalistischen Gründen bis heute allein auf heimische Vakzine; Li konnte daran nichts ändern.

Bekommt Li Qiang die Beinfreiheit für Wirtschaftsreformen?

Die große Preisfrage ist also: Kann Li seine wirtschaftspolitischen Ziele im neuen Amt umsetzen? Xi Jinping wurde gerade erst zum dritten Mal als Präsident vereidigt; er ist auf der Höhe seiner Macht. Er umgab sich in der Spitze der Kommunistischen Partei ausschließlich mit Loyalisten, darunter Li Qiang selbst. Xi gilt als Kontrollfreak, er hat in der Partei ein Geflecht von Kommissionen aufgebaut, das in den Staatsapparat hineinregiert. Unter Lis Vorgänger Li Keqiang (die Namensähnlichkeit ist zufällig) wanderten immer mehr gestalterische Zuständigkeiten in die Parteizentrale ab – und damit direkt zu Xi. Dieser soll Li Keqiang nicht sonderlich geschätzt haben; da machte er die Sache lieber selbst.

Das ist nun anders. Xi soll Li Qiang vertrauen. Doch kann Li die Tendenz des Parteichefs zur Einmischung in alle Belange mäßigen? Optimisten glauben, dass der Vertrauensvorschuss dem Neuen ungeahnten Spielraum geben wird. Pessimisten gehen eher davon aus, dass der jüngere Li nicht über die Rolle eines Erfüllungsgehilfen für Xi hinauskommen wird. Wer recht hat, das werden frühestens die kommenden Monate zeigen.

Li Qiang: Aufstieg über die Küstenprovinzen – im Windschatten Xis

Über Li Qiangs Privatleben ist wenig bekannt. Er wurde im Juli 1959 in der Küstenprovinz Zhejiang geboren, studierte Landmaschinenbau in der Hafenstadt Ningbo. Später absolvierte er in Hongkong einen Master in Wirtschaft, damals typisch für aufstrebende Kader. Schon 1983 war Li in die KP eingetreten. Seine Parteikarriere startete er Anfang der Nullerjahre als Parteichef seiner Heimatstadt Wenzhou. Die Stadt ist berühmt als Keimzelle der Wiedergeburt privater Kleinunternehmen und Mittelständler: Noch heute residiert dort eine Vielzahl privater Hersteller einfacher Dinge vom Feuerzeug bis zur Socke. Die ganze Provinz Zhejiang gilt als Chinas Hochburg der Privatwirtschaft.

Und wer regierte diese Provinz vor knapp 20 Jahren als Parteichef? Xi Jinping. Li Qiang diente ihm 2004 bis 2007 als Stabschef. Auf diese Zeit geht die enge persönliche Bindung der beiden Männer zurück. Nachdem Xi 2012 auf den Chefsessel der KP gewechselt war, beförderte er seinen einstigen Mitarbeiter schrittweise zu immer höheren Weihen. Seine Karriere führte Li Qiang durch Provinzen, die für Chinas wirtschaftlichen Aufstieg maßgeblich sind: Gouverneur von Zhejiang, danach Parteichef von Jiangsu – Shanghais Nachbarprovinz, in der viele deutsche Unternehmen Fabriken haben.

Schließlich wurde Li Qiang Parteichef von Shanghai. Dort regierte er generell pragmatisch und mit einem Fokus auf die Wirtschaft. Bis er im Oktober 2022 dem Ruf des Förderers Xi nach Peking folgte: Li stieg auf dem Parteitag in den Ständigen Ausschuss des Politbüros auf – und das gleich als die Nummer Zwei in der KP-Hierarchie, direkt hinter Xi selbst.

Der neue Ministerpräsident Li Qiang auf dem Parteitag der Kommunisten im Oktober 2022

Li Qiang und Corona: Harter Lockdown in Shanghai

„Wirtschaftslenker, die mit Li zu tun haben, halten ihn für einen ziemlich pragmatischen Menschen, der nicht viel über Ideologie redet, sondern eher die Dinge zu Ende bringen will“, sagt Nis Grünberg, Analyst am Merics-Institut für Chinastudien. „Das entspricht ziemlich genau der typischen Rolle des Premierministers. Ich würde ihn nicht zu sehr dafür kritisieren, nur ein Jasager zu sein.“

Immer wieder versuchte Li offenbar, eigene Wege zu gehen – aber ließ sich am Ende zurückpfeifen. Vor dem kompletten Lockdown Shanghais im Frühjahr 2022 hatte sich Li bei kleineren Ausbrüchen in der Finanzmetropole mehr Spielraum genommen als Verantwortliche der meisten anderen Städte. Auch vor knapp einem Jahr versuchte er zunächst, den heftigen Ausbruch der Omikron-Variante ohne Komplett-Lockdown in den Griff zu bekommen. Doch am Ende schritt Peking ein, und Li musste die Stadt nach extrem kurzer Ankündigungsphase abriegeln. Ob er eine Wahl hatte, ist unklar. Viele der 25 Millionen Bewohner strandeten jedenfalls ohne Lebensmittelvorräte ihn ihren Wohnungen; die medizinische Versorgung für viele Kranke funktionierte nicht richtig. Wochenlang herrschte ein ziemliches Chaos.

Li Qiang: Beitrag zum Ende von Null-Covid

Das machte Li zur Zielscheibe großer Wut der Bürger, verhinderte aber nicht seine Beförderung. Nach dem Parteitag im Oktober übernahm Li gar die Leitung der zentralen Covid-Taskforce. In dieser Position soll er entscheidend zum unerwartet schnellen Ende von Chinas Null-Covid-Politik beigetragen haben, wie Reuters Anfang März unter Berufung auf mehr als ein halbes Dutzend Insider berichtete. Dabei habe er sich mehrmals gegen Zweifel Xi Jinpings durchgesetzt.

Es könnte ein Hinweis darauf sein, dass Li durchaus die Gunst der Stunde zu nutzen bereit ist, wenn es sich ergibt. Der US-Buchautor Robert Lawrence Kuhn, der Li und Xi in den Jahren 2005 und 2006 zusammen traf, sagte zu Reuters, beide Männer hätten einen lockeren Umgang miteinander gepflegt. „Im Gegensatz zu den meisten anderen Mitarbeitern von Spitzenpolitikern war Li kein Mauerblümchen.“ Am Montag wird Li seine erste Pressekonferenz als Ministerpräsident geben.

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