Schmutziger Bauboom

100 neue Kohlekraftwerke: Wie China trotzdem sein Klimaziel einhalten will

Ein Arbeiter schneidet mit einer Fackel Stahlrohre in der Nähe des mit Kohle betriebenen Kraftwerks Datang International in Zhangjiakou
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Dicke Luft: Kohlekraftwerk in der Provinz Hebei.

China hat 2022 so viele neue Kohlekraftwerke genehmigt wie seit sieben Jahren nicht mehr. Dabei gibt es bereits Überkapazitäten.

  • China startet jede Woche den Bau eines neuen Kohlekraftwerks, rund 100 Meiler sind geplant.
  • Doch die geringe Auslastung bisheriger Kraftwerke und der schnelle Ausbau der erneuerbaren Energien stehen einem erneuten Boom der Kohleverstromung entgegen. Will China nur die Bauwirtschaft fördern?
  • Dieser Text liegt IPPEN.MEDIA im Zuge einer Kooperation mit dem China.Table Professional Briefing vor – zuerst veröffentlicht hatte ihn China.Table am 1. März 2023.

Peking/München – Es ist ein Bauboom, der für westliche Verhältnisse unvorstellbar ist: China hat 2022 im Durchschnitt jede Woche mit dem Bau eines neuen Kohlekraftwerks begonnen. So wurde die Errichtung von 50 Gigawatt an neuer Kraftwerkskapazität gestartet. Insgesamt bewilligten die Behörden im letzten Jahr Kohlekraftwerke mit einer Kapazität von 106 Gigawatt, circa 100 große Kohlemeiler. Eine Vervierfachung im Vergleich zum Jahr 2021, wie eine neue Erhebung des Global Energy Monitors (GEM) und des Centre for Research on Energy and Clean Air (CREA) zeigt. Im selben Zeitraum wurden nur 4,1 Gigawatt an Kraftwerkskapazität stillgelegt.

Der Bauboom klingt wie der Todesstoß für Chinas Klimaziele, auch die internationalen Anstrengungen sind damit in Gefahr. Chinas Präsident Xi Jinping hatte eine Abnahme des Kohleverbrauchs für den Zeitraum von 2026 bis 2030 versprochen. Auf den ersten Blick scheint das durch einen massiven Ausbau der Kraftwerkskapazität kaum noch möglich. Doch so einfach ist die Situation nicht. „Der massive Zubau neuer Kohlekraftwerke bedeutet nicht zwangsläufig, dass der Kohleverbrauch oder die CO₂-Emissionen des Stromsektors in China zunehmen werden“, schreiben die Studienautoren.

Was bedeutet der Bauboom für die Klimaziele?

Einige China-spezifische Faktoren sprechen gegen einen starken Anstieg der CO₂-Emissionen. So geht auch der Ausbau der erneuerbaren Energien im Rekord-Tempo voran. 2022 wurden 125 Gigawatt an Solar- und Windkapazität gebaut. Die Hälfte der zusätzlichen Stromnachfrage wurde durch neue Erneuerbare-Energien-Kraftwerke gedeckt. „China ist auf dem besten Weg, den gesamten Anstieg der Stromnachfrage ab 2024 aus sauberen Quellen zu decken“, schreibt der Energieexperte Lauri Myllyvirta auf Twitter.

Es spielt eine große Rolle, wie lange die neuen Kraftwerke laufen werden. „Die Laufzeiten dieser neuen Kohlekraftwerke werden ganz entscheidend für das Erreichen der Klimaziele sein. Ich bin zuversichtlich, dass sie deutlich weniger als 40 Jahre laufen werden, auch weil ökonomische Gründe in China eine geringere Rolle spielen als in westlichen Staaten“, sagt Jan Steckel, Leiter der Arbeitsgruppe Klimaschutz und Entwicklung am Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC), gegenüber Table.Media. „Und wenn die neuen Kraftwerke nur circa 15 Jahre laufen sollten, dann sind die Klimaziele noch in Reichweite.“

Chinas Kohlekraftwerke: Wenig Auslastung, ungewisse Laufzeiten

Auch könnte dem Kohlestrom die Nachfrage fehlen: Chinas Kohlekraftwerke haben eine geringe Auslastung von im Durchschnitt circa 50 Prozent. 2007 lag die Auslastung noch bei 60 Prozent. In vier der sechs regionalen Stromnetze bestehe eine Überkapazität an Kohlestrom, so Myllyvirta. Die Hälfte der neuen Kohleprojekte ist in Provinzen mit Überkapazitäten angesiedelt. Doch Kohle-Experte Jan Steckel vom MCC Berlin ist weniger optimistisch: „Die Auslastung wird in den kommenden Jahren kaum weiter sinken. Und die derzeitige Auslastung ist nicht gering genug, um einen wirklichen Klimanutzen zu haben“.

Manche Provinzen sehen den Bau der Kohlemeiler vor allem als Teil ihres Konjunkturprogramms, um die Wirtschaft nach den schlechten Corona-Jahren wieder anzukurbeln. Zentral- und Provinzregierungen sichern die Finanzierung der Kraftwerke ab, obwohl 40 bis 50 Prozent der Kraftwerke Verluste erwirtschaften. Es gibt also keine finanziellen Anreize, die Kraftwerke jahrelang am Laufen zu halten, sobald Wind- und Solarenergie einen noch größeren Teil des Strombedarfs decken können. Laut Myllyvirta besteht auch die Möglichkeit, dass die „Versorgungsunternehmen in finanzielle Schwierigkeiten geraten und die Neubauten nicht fertigstellen“.

Hochrangige politische Ziele haben in China eine andere Bedeutung als etwa Wahlkampfversprechen im Westen. China hat sich auf höchster Ebene zu nationalen Klimazielen verpflichtet. Werden sie nicht erreicht, wäre das ein massiver Ansehensverlust für die Kommunistische Partei.

Bauboom mit Klimarisiken fürs Weltklima

Trotzdem ist der Bauboom nicht ohne Klimarisiken. Die über 100 geplanten Kohlekraftwerke „machen die Erreichung der Klimaziele komplizierter und kostenintensiver“, so das Fazit der GEM-CREA-Studie. Die Kohleindustrie verfügt über großen politischen Einfluss. Sie versorgt zig Millionen Menschen direkt oder über die Kohleminen indirekt mit Arbeitsplätzen und gehört in einigen Provinzen zu den größten Steuerzahlern.

Im schlimmsten Fall führe der Bau neuer Kohlekraftwerke dazu, sie auch auszulasten und den Ausbau der Erneuerbaren zu verlangsamen, schreiben die Studienautoren. Das könnte zu einem starken Anstieg von Chinas CO₂-Emissionen führen. Der politische Spielraum dafür ist teils vorhanden. Zwar hat Xi Jinping versprochen, die Kohlenutzung herunterzufahren und 2030 den Höchststand bei den CO₂-Emissionen zu erreichen. Allerdings wurde nicht definiert, welchen absoluten Level die CO₂-Emissionen erreichen dürfen. Gleichzeitig ist sich die Führung aber bewusst, dass die langfristigen Klimaziele umso schwerer zu erreichen sind, wenn die Emissionen noch bis zum Jahr 2030 stark wachsen.

Warum baut China so viele Kraftwerke?

Die neuen Kohlekraftwerke dienen indessen nicht nur als Konjunkturprogramm, um schnelles Wachstum zu erreichen und die darbende Bauindustrie des Landes zu unterstützen. Auch die Sicherung der Energieversorgung wird als Argument für den Bauboom angeführt. Im Herbst 2021 war es zu wochenlangen Stromausfällen und -rationierungen gekommen. In einigen Provinzen mussten zahlreiche Industrieunternehmen ihre Produktion drosseln. Das soll sich nicht wiederholen und wird von Kohlebefürwortern als Argument genutzt. Allerdings fehlte es damals nicht an Kraftwerkskapazität, sondern die Kohleversorgung war aufgrund hoher Preise und falscher Anreize nicht gesichert.

Im Sommer 2022 kam es aufgrund einer Hitzewelle und der hohen Stromnachfrage für Klimaanlagen zu Stromengpässen und Stromrationierung. Viele Genehmigungen zum Neubau von Kohlekraftwerken wurden nach dieser Hitzewelle erteilt, so die GEM-CREA-Autoren. Doch „neue Kohlekraftwerke sind eine kostspielige Lösung, um wenige Wochen andauernde Nachfragespitzen zu bedienen“, sagt Mitautor Lauri Myllyvirta.

Viele Provinzen bauen neue Kraftwerke, um bei der Stromversorgung nicht in Abhängigkeit von anderen Provinzen zu geraten. Denn ein starres System für den Stromhandel schränkt die Provinzen stark dabei ein, auf aktuelle Krisen angemessen zu reagieren. Langfristige, feste Lieferverträge verpflichten die Energiefirmen dazu, auch bei lokalen Engpässen weiterhin Strom in Nachbarprovinzen zu exportieren. Während der Hitzewelle des Sommers 2022 exportierte beispielsweise Sichuan weiterhin Strom, obwohl die Unternehmen in der Provinz aufgrund der Stromknappheit ihre Produktion drosseln mussten. Seit mehr als zehn Jahren strebt China eine Reform des Energiehandels an, bisher jedoch ohne Erfolg. Auch deswegen setzt China noch immer auf Kohle.

Dieser Text erschien am 1. März 2023 im China.Table Professional Briefing – im Zuge einer Kooperation steht es nun auch den Lesern der IPPEN.MEDIA-Portale zur Verfügung.

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