Am 6. November will ein Bündnis Frankfurts OB Peter Feldmann abwählen. Ein Gespräch mit der politischen Aktivistin und Journalistin Jutta Ditfurth über die Kampagne.
Frau Ditfurth, ein breites Bündnis aus Grünen, CDU, SPD, FDP und Volt möchte den Frankfurter Oberbürgermeister Peter Feldmann am Sonntag abwählen. Was sagen Sie dazu?
Das Bündnis ist ja noch breiter. Auch die rechtsradikalen Parteien AfD und BFF unterstützen die Abwahlkampagne. Ich komme mit Peter Feldmann nicht gut klar, aber er ist 2018 mit 70,8 Prozent der Stimmen der Frankfurter:innen wiedergewählt worden. Er hatte im Juni seinen Rückzug zum Januar 2023 angeboten. Das wäre nach dem Gerichtsprozess gewesen und man hätte gewusst, ob die Vorwürfe gegen ihn gerichtsfest sind. In einem Rechtsstaat gibt es die Unschuldsvermutung. Trotzdem hat eine Mehrheit der 93 Stadtverordneten beschlossen, das Rücktrittsangebot nicht anzunehmen, sondern ihn abwählen zu lassen. Ich habe damals schon gesagt, dass diese Kampagne gehässig werden würde. Erst lief sie einige Wochen schleppend. Diese sechste Woche ist die Gülle-Woche. Jeder Dreck darf über ihm ausgekippt werden.
Es wird eine parteiübergreifende Einigkeit gegen Feldmann demonstriert. Wie kommt die zustande?
Feldmann hat ja tatsächlich viele Fehler gemacht. Sexistische Witze, Pokalklau und eben Verdacht auf Korruption, der jetzt gerichtlich geklärt wird. Er neigt zur Anmaßung und Eitelkeit. Aber auch Ex-Ministerpräsident Bouffier (CDU) hat schon mal einen Pokal „geklaut“, 2018 beim Sieg der Eintracht über den FC Bayern. Diese seltsame Einigkeit der Abwahlparteien beruht unter anderem auf einem schweren strategischen Fehler der SPD. Statt im Sommer Feldmanns Rücktrittsangebot anzunehmen, hat sich die SPD von den anderen Parteien in die Abwahlkampagne treiben lassen. Aus ihr wird sie, egal wie es ausgeht, schwer angeschlagen wieder herauskommen. Ihr Misserfolg bei der nächsten OB-Wahl, egal ob 2023 oder 2024, ist ziemlich sicher. Sie bezahlt jetzt die Abwahlkampagne ihrer Gegner:innen mit, hält aber den Mund, argumentiert nicht, stellt sich tot und bereitet das Terrain für Schwarz-Grün vor.
Korruptionsvorwürfe gegen Frankfurter OB Peter Feldmann: „Es wird ein Indizienprozess geführt“
Aber wie Sie sagen, geht es ja auch um Vorteilsnahme im Amt. Auf Twitter bezeichnen Sie die Abwahlkampagne dennoch als „unsäglich“. Warum?
Ein Beispiel: Peter Feldmann wird vorgeworfen, zugunsten seiner Ehefrau korrupt gehandelt zu haben. Er wehrt sich und sagt, aufgrund der Probleme in der Beziehung wusste er nicht, welchen Vertrag seine Ehefrau mit der AWO ausgehandelt hat. Beweise gibt es bisher nicht, vielmehr wird ein Indizienprozess gegen ihn geführt. Er kann sich vor Gericht nur damit verteidigen, dass er diese private Beziehung – die uns alle eigentlich nichts angeht – so schildert, dass klar wird, warum er nichts von den Jobvereinbarungen seiner Ehefrau gewusst haben kann. Juristisch muss das eine schlüssige Darstellung sein, Behauptungen nützen ihm vor Gericht nichts. Ihm drohen unter anderem bis zu drei Jahre Haft und Verlust seiner Pension. Selbstverständlich muss er sich verteidigen.
Sie sagen also, es ist der Logik des Prozesses geschuldet, dass er so ins Detail geht?
Natürlich berichtet er darum von getrennten Konten, getrennten Wohnungen, Streit, einer instabilen Beziehung, also den Gründen, warum sie ihm keinen Einblick in ihre beruflichen Angelegenheiten gewährte. Er hat auch vorgetragen, dass sich das Paar über eine ungeplante Schwangerschaft uneinig war. Nur lebensfremde evangelikale Dogmatiker:innen behaupten, dass solche Konflikte unter Paaren selten sind, das Gegenteil ist der Fall. Leider waren weder er noch seine Anwälte feministisch bewusst genug, um diesen Streit etwas einfühlsamer zu schildern. Am Ende aber hat – so soll es ja sein – die Frau entschieden, in diesem Fall für die Schwangerschaft. Sie haben trotzdem geheiratet, und er liebt sein Kind. Jeder, der ihn nur ein bisschen kennt, weiß das.
Jutta Ditfurth im Interview über Peter Feldmann
Zur Person
Jutta Ditfurth ist Autorin, Soziologin und politische Aktivistin. Für die kommunale Wählervereinigung ÖkoLinX-Antirassistische Liste wurde sie 2021 erneut in den Römer gewählt. Dort ist sie Fraktionssitzende von ÖkoLinX-ELF. Ditfurth schreibt historische und politische Sachbücher.
Abwahlkampagne gegen Peter Feldmann: „Fehler für moralische Empörung genutzt“
Gerade diese Aussage zur ungewollten Schwangerschaft wird Feldmann massiv negativ ausgelegt ...
Tatsächlich hätte ich, was dann passierte, vorher nicht für möglich gehalten. Die konservative Grüne Ursula auf der Heide, die ja auch schon mal den Abtreibungsgegner-Jargon vom „ungeborenen Leben“ gebraucht und trotzdem Vorsitzende von Pro Familia Frankfurt geworden ist, nutzt Feldmanns Fehler für eine überbordende moralische Empörung: Das sei „öffentliche maximale Demütigung seiner Frau und seiner Tochter“. Warum tut sie das? Meine Vermutung: Sie gehört zum schwarz-grünen Flügel der Grünen, und die wollen schließlich bald den oder die nächste OB stellen.
Die widerlichste Aussage aber hat der Polizist und CDU-Stadtrat Stephan Siegler auf Facebook gemacht. Er schreibt, Feldmann habe seine „Tochter umbringen wollen“, allen Ernstes. Das ist von unüberbietbarer Bösartigkeit. Feldmann wollte nur kein Kind aus dieser Beziehung, also die Abtreibung eines Embryo und nicht etwa den Mord an der heute Sechsjährigen. Und was noch hinzukommt: Nur wer reich ist, kann sich überhaupt an dieser Abwahlkampagne beteiligen. Gerade die CDU schaltet riesige Anzeigen mit der blechernen Behauptung, dass wir der Stadt durch die Abwahl Feldmanns „die Würde zurückgeben“ sollen. Was soll der demagogische Quatsch? Eine Stadt hat keine Würde, Menschen haben eine und die CDU versucht, sie Peter Feldmann zu nehmen.
Was hat die Kampagne gegen Feldmann mit „Kulturkampf“ zu tun?
Verrückt, und Teil des Kulturkampfs ist, dass sich auch Leute empören, die korrupte oder sexistische Politiker in den eigenen Reihen noch nie gefeuert haben.Ich erinnere mich an sitzungssprengende, sexistische Brüllereien seitens der CDU gegen mich. Ich erinnere mich an einen FDP-Stadtverordneten, der Fotos seines erigierten Penis verschickte.Nie musste einer zurücktreten. Und wer hat 1982 eigentlich vorgeschlagen, dass der Nazi-Ideologe Ernst Jünger mit dem Goethe-Preis der Stadt geehrt wird? Warum musste nie einer gehen, weil er fragwürdige Beziehungen zu Frankfurter Unternehmern wie Bruno Schubert hatte, der Steuern hinterzog und die Militärdiktatur des Generals Pinochet in Chile unterstützte? Schubert ist heute sogar Ehrenbürger der Stadt Frankfurt. In Frankfurt regiert die Verlogenheit.
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Abwahl von OB Peter Feldmann: „Soziale Seite“ wird zum Angriffspunkt
Was hat das mit Feldmann zu tun?
Der Kulturkampf besteht im Innern darin, dass sich CDU, FDP und mächtige Wirtschaftskreise nie damit abgefunden haben, dass ein linker Sozialdemokrat Oberbürgermeister von Frankfurt geworden ist. Was für Feldmann spricht, ist, was seine Gegner:innen am meisten an ihm hassen: seine soziale Seite, seine frühere Arbeit in Brennpunkten, im Jugendzentrum, in Altenhilfeeinrichtungen, sein Engagement als OB für kostenlose Kinderbetreuung und für bezahlbare Mieten. 2012 freute sich die Jüdische Allgemeine, dass Peter Feldmann sich „als erster jüdischer OB seit 1933“ mit 53,76 Prozent hatte durchsetzen können. Übrigens gegen Boris Rhein, den Rechtsaußen der CDU, zu dessen Wahl damals einflussreiche Frankfurter Grüne aufriefen.
Die CDU als eine Triebkraft der Kampagne?
Als die Abwahlkampagne kürzlich einzuschlafen begann, meldete sich der frühere CDU-Landesregierungssprecher und CDU-Krisenstratege Dirk Metz ungeduldig zu Wort. Er arbeitet auch für die IHK, Chemiekonzerne und Finanzunternehmen. Er klagte über mangelnde Entschlossenheit, die „volle Kapelle“ müsse gegen Feldmann zum Einsatz gebracht werden! Was das heißt, haben wir ja 1999 gesehen, als er Roland Koch half, mit der rassistischen Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft die Wahl zu gewinnen. Auch die Schwarzgeldaffäre der hessischen CDU überlebte Koch mit Metz’ Hilfe, trotz erfundener „jüdischer Vermächtnisse“.
Sein Ruf wurde gehört, oder er hat zuvor anderer Leute Ruf gehört. Inzwischen jedenfalls hat zum Beispiel der Großinvestor und Immobilienhändler Rainer Ballwanz mit einem vermeintlichen „Bündnis aus der Bürgerschaft“ - 40 unbekannte Personen, keiner fragt mal, wer die eigentlich sind - die aufwändige Kampagne „frankfurtwähltab.de“ installiert. Er behauptet, er wolle „neutral“ die eingeschlafene Kampagne beleben. Aber von der Website lassen sich nur Elemente gegen Feldmann abrufen. Für wie dumm hält er die Wähler:innen? Und selbst auf den Römer durften Abwahl-Installationen projiziert werden. Flüchtlingsgruppen, Initiative Schwarze Deutsche, Kulturzentrum Klapperfeld, Bürgerinitiativen dürfen nichts Vergleichbares tun, um für ihre Positionen zu werben.
Linus Koenig @HisRoyalLinus (Landungsbrücken #Frankfurt) auf Facebook zur #Abwahlkampagne gegen #Feldmann (Auszug): „Haben beim Thema OB Feldmann vor lauter mehr oder weniger gerechtem Zorn auf einmal alle völlig den Verstand verloren?
Kampagne gegen Peter Feldmann: Großinvestor und Immobilienhändler gegen OB
Woher kommt der ganze Eifer?
Wie meist stehen hinter einem Kulturkampf ganz ordinäre ökonomische Interessen. Feldmann steht, so zahm seine Politik in den Augen von ÖkoLinX auch ist, den vollends entgrenzten Profitinteressen des Immobilienkapitals im Weg. Die durchschnittlichen Preise für Eigentumswohnungen liegen bei 7000 Euro pro Quadratmeter, für neue Wohnungen bei 12.000 Euro pro Quadratmeter. Die Mieten, falls Sie überhaupt eine Wohnung finden, bei mehr als 20 Euro pro Quadratmeter. Man muss sich nur die Mietpreise beim Immobilienmakler Ballwanz ansehen.
Und CDU, FDP, IHK und Immobilienkonzerne laufen Sturm gegen den Baulandbeschluss vom Mai 2022. Darin macht die Stadt Investoren strengere Auflagen. Sie müssen bei größeren Projekten nun nicht nur 30 Prozent geförderte Mietwohnungen errichten, davon die Hälfte Sozialwohnungen, sie müssen auch 15 Prozent der Fläche für gemeinschaftliches und genossenschaftliches Wohnen vorhalten. Das dämpft die Preise zwar nur wenig, reicht aber wohl für den Amoklauf der Feldmann-Gegner.
Wenn das Bündnis scheitert - welche Konsequenzen hat das im Römer?
Wird Feldmann nicht abgewählt, bleibt er bis 2024 im Amt. Er ist dann mit neuer Autorität ausgestattet und hat hoffentlich daraus gelernt. Er kann im Magistrat Ressorts neu zuschneiden. Alle jetzt unterdrückten Differenzen zwischen Grünen, CDU, SPD, FDP und Volt werden ausbrechen.
Und wenn der OB abgewählt wird?
Wird er aus dem Amt gewählt, müssen die Parteien schnell ihre OB-Kandidat:innen für die vorgezogene neue OB-Wahl im Frühjahr 2023 finden. Sie sind dann sofort wieder in Konkurrenz und haben wenig Zeit. Diese hässliche Abwahlkampagne hat aber auch das Terrain für einen CDU-OB vorbereitet und für eine CDU-Grüne-Koalition 2026. Der politische Diskurs wurde nach rechts verschoben.
Wie werden Sie entscheiden?
Nach dieser Güllewoche kommt abwählen für mich trotz aller Kritik, die ich an Peter Feldmann habe, nicht infrage. Ich werde nicht wählen gehen.
(Interview: Katja Thorwarth)
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