Drei Jahre lang berichtete Ulf Röller fürs ZDF aus Peking. Jetzt verlässt er China – und zieht Bilanz: „Als Journalist ist man in einer Diktatur einfach nicht willkommen.“
München/Peking – Er war bei den Massendemonstrationen in Hongkong dabei und erlebte den Beginn der Corona-Pandemie in Wuhan: Seit September 2019 berichtete Ulf Röller für das ZDF-Studio in Peking über die Volksrepublik China und andere Länder der Region. Nun wechselt der Journalist nach Brüssel, in Peking übernimmt Miriam Steimer. Im Interview mit FR.de von IPPEN.MEDIA spricht Röller über die Schwierigkeit, in einem Land ohne Pressefreiheit zu arbeiten.
Herr Röller, nach drei Jahren in China: Mit welchen Gefühlen verlassen Sie das Land?
Da mischen sich viele Gefühle. Ich bin natürlich traurig, weil ich viele Freunde zurücklasse. Zudem ist China ein vielschichtiges, wunderbares Land mit mutigen, wilden und lustigen Menschen. Das werde ich sehr vermissen. Ich mache mir aber auch Sorgen um meine chinesischen Kollegen, die ich zurücklassen muss. Chinesen, die für westliche Medien arbeiten, haben es nicht einfach.
Sie verlassen China außerdem in einer äußerst angespannten Zeit …
Ich lasse ein Land zurück, das sich extrem wandelt, und das – aus westlicher Sicht – nicht unbedingt zum Guten. Als ich nach China gekommen bin, war ich von der Effizienz des Landes beeindruckt, speziell von der Corona-Politik. Heute bin ich schockiert, wie engstirnig an der Null-Covid-Politik festgehalten wird. Man hat die Leute nicht ausreichend geimpft, außerdem ist man zu stolz, ausländische Impfstoffe ins Land zu lassen. Im Herbst will sich Xi Jinping in eine dritte Amtszeit wählen lassen, die Null-Covid-Politik ist eng mit seiner Person verbunden. Das alles führt zu riesigen ökonomischen Problemen und sehr hoher Arbeitslosigkeit. Das Land wird unfreier.
Ulf Röller, Jahrgang 1964, berichtete von September 2019 bis Juli 2022 für das ZDF aus Peking. Zuvor war der Journalist viele Jahre Leiter des ZDF-Studios in Washington. Zum 1. Oktober übernimmt er die Leitung des ZDF-Studios in Brüssel.
ZDF-Mann Ulf Röller in China: „Ich bin jemand, der wie ein Straßenköter alles beschnüffelt“
Mit welchen Erwartungen sind Sie 2019 nach China gekommen?
Ich bin kein China-Experte. Aber ich bin jemand, der irgendwo hinkommt, sich umguckt und wie ein Straßenköter alles beschnüffelt. Ich war 2017 zum ersten Mal für ein paar Tage in China, um über Donald Trumps Peking-Besuch zu berichten. Und da hat mich das Land fasziniert. Ich hatte allerdings überhaupt keine Vorstellung davon, was es heißt, in einer Diktatur zu leben. Ich kann nur jedem empfehlen, der meint, dass man in Deutschland nicht mehr sagen kann, was man will, nach China zu kommen. Da sieht man, was Unfreiheit bedeutet.
Das konnten Sie sicher auch in Hongkong sehen, von wo aus Sie 2019 berichtet haben …
In Hongkong sind zwei Millionen Menschen durch die Straßen gezogen und haben den großen Traum von Freiheit und Eigenständigkeit geträumt – und man wusste, dass sie nicht gewinnen können, weil der Gegner zu groß und zu mächtig ist. Es hat mich unglaublich traurig gemacht, zu sehen, wie dieser Bewegung der Sauerstoff genommen wurde. Und der Westen hat einfach zugesehen, China musste keinen Preis für sein Vorgehen in Hongkong zahlen.
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Wenige Monate nach Ihrer Ankunft in Peking begann dann die Corona-Pandemie …
Wir sind im Januar 2020 nach Wuhan geflogen, nachdem wir gehört hatten, dass dort ein neues Virus aufgetreten ist. Damals war noch nicht ansatzweise erkennbar, wie sich das entwickeln würde. In der Stadt liefen noch alle ohne Maske herum. Wir sind dann am Abend, direkt nach unserer Ankunft, zu einem großen Krankenhaus gefahren und haben erzählt bekommen, dass die Menschen dort auf den Gängen saßen und die vielen Kranken nicht versorgt werden konnten. Außerdem kam da ein Krankenwagen nach dem anderen an. In einem der Krankenwagen haben wir einen Patienten mit Sauerstoffgerät gesehen, und die Krankenpfleger hatten weiße Schutzanzüge an. Da dachten wir zum ersten Mal: Was passiert hier?
„Ich habe damals erstmals verstanden, was digitale Diktatur bedeutet“, sagt der China-Korrespondent des ZDF
Und dann?
Am nächsten Tag wollte ich weiterdrehen, aber unsere Producerin sagte: Lass uns zurück nach Peking fliegen. Das haben wir gemacht. Am nächsten Tag wurde der Flughafen geschlossen. Wir hatten Glück – sonst wären wir wochenlang in Wuhan eingesperrt gewesen. Zu Beginn der Pandemie wurde einem schlagartig bewusst, wie knallhart die Kommunistische Partei ihre Vorstellungen und Ziele durchsetzen kann.
Im Frühjahr 2022 war dann auch Peking von den Corona-Maßnahmen betroffen.
Die ersten zwei Jahre der Pandemie war es fast einfacher, in China mit Corona zu leben als in Europa und den USA. In Peking hatten wir nie einen kompletten Lockdown. Es gab Zeiten, da mussten ein paar Restaurants schließen, aber das normale Leben ging weiter. Ich habe damals allerdings erstmals verstanden, was digitale Diktatur bedeutet.
Und zwar?
Jeder hier in China hat die offizielle Corona-App auf seinem Handy. Damit wird man permanent vom Staat getrackt. Die Regierung weiß jederzeit, wo man ist und wo man war. Und wenn man sich nicht täglich testen lässt oder das Ergebnis positiv ist, schaltet die App auf Rot – und man kommt nirgends mehr rein. Das wird dann schnell existenziell, wenn man nicht mal mehr in Lebensmittelgeschäfte darf. Es gab sogar Vorfälle, da wollten Menschen gegen etwas demonstrieren – und die App wurde einfach auf Rot gestellt und die Menschen konnte keine Zugtickets kaufen und keine Autos mieten. Ich glaube, die chinesische Regierung nutzt die Corona-App als Blaupause für ihr Sozialkreditsystem, mit dem sie die gesamte Bevölkerung kontrollieren will. Natürlich soll mit der App das Virus in Schach gehalten werden. Es ist aber auch ein flächendeckender Feldversuch, um die digitale Diktatur zur Vollendung zur bringen.
China-Betrachter Röller: „Ich bin mir sicher, dass unsere Büros und Wohnungen verwanzt sind“
Immer mehr Ausländer verlassen derzeit China. Können Sie diese Fluchtbewegung nachvollziehen?
Ich verlasse das Land ja auch. Aber ich kann die Argumente der Ausländer, die in China leben und es jetzt verlassen wollen, nur zum Teil nachvollziehen. Es ist wirklich schwierig, wenn man aufgrund der Reisebeschränkungen seine Familie nicht mehr sehen kann. Und ich verstehe, dass die Menschen Angst vor dem Kontrollverlust durch die Corona-Maßnahmen haben. Aber: Dass man in einer Diktatur lebt, das weiß man, bevor man nach China geht. Denn China war schon vor Corona eine Diktatur. Viele Menschen, die in China für ausländische Unternehmen haben, haben zu uns Journalisten gesagt: Hört doch mal auf, immer nur alles zu kritisieren. Aber jetzt erleben sie selbst, mit welcher Härte der Staat reagiert. Und das, obwohl die Ausländer immer noch privilegierter leben als die Chinesen.
Wie frei konnten Sie in den vergangenen Jahren aus China berichten?
Als Journalist muss man immer damit rechnen, dass man von den Behörden verfolgt und angehalten wird. Ich bin mir auch sicher, dass unsere Büros und Wohnungen verwanzt sind. Die Behörden versuchen oft alles, um einen daran zu hindern, eine bestimmte Geschichte zu verfolgen. Wenn man sich beispielsweise ein Ticket nach Kashgar kauft, um in der Uiguren-Provinz Xinjiang zu drehen, dann werden sofort die Behörden vor Ort informiert, die einem dann das Leben schwer machen. Es ist ein ewiger Wettkampf mit den Behörden. Wirklich heldenhaft ist aber das, was unsere einheimischen Helfer machen. Unser Risiko ist kalkulierbar, für unsere Mitarbeiter aus China ist es aber deutlich schwieriger. Als Journalist ist man in einer Diktatur einfach nicht willkommen.
Wie schafft man es trotzdem, möglichst unvoreingenommen auf China zu blicken?
Man bleibt als Deutscher in China natürlich ein Produkt seiner Herkunft. Deshalb muss man versuchen, sich erst einmal andere Positionen anzuhören, ohne gleich zu werten. Außerdem müssen wir uns als Westen unserer eigenen Doppelmoral bewusst sein. Einerseits wünschen wir China wirtschaftlich allen Erfolg, weil unser Wohlstand davon abhängt. Gleichzeitig wünschen wir dem politischen System alles Schlechte, damit China uns nicht überflügelt. Den moralischen Zeigefinger zu heben und gleichzeitig dicke Geschäfte zu machen, das finde ich unehrlich.
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