Fußball
Legende Rüdiger Vollborn sehnt sich nach einem Titel für Bayer 04 Leverkusen
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Der Ex-Torwart lebt in Burscheid. Sein Leben bestimmt aber immer noch Bayer 04 Leverkusen.
Die Fans von Bayer 04 Leverkusen träumen wieder. Dank des späten 1:1-Ausgleichs durch Florian Wirtz im Viertelfinal-Hinspiel gegen Union Saint-Gilloise ist der Titel in der Europa League weiter drin. Es wäre der erste nach 30 Jahren. „Die Sehnsucht nach einem Titel ist unendlich groß“, sagt Rüdiger Vollborn. Auch bei ihm. Oder gerade bei ihm?
Der ehemalige Torwart ist die vielleicht größte Legende der Werkself. Seit mehr als 40 Jahren im Verein, Rekordspieler mit 401 Bundesligaeinsätzen, Ehrenspielführer und von den Fans in die Jahrhundert-Elf gewählt.
Aber vor allem ist er der einzige Bayer-04-Profi, der sowohl den UEFA-Cup (1988) als auch den DFB-Pokal (1993) gewonnen hat. „Der Verein ist mein Leben“, sagt Rüdiger Vollborn. Man glaubt es dem 60-Jährigen sofort.
Wir sind im Bayer-04-Fanhaus im Herzen der Wiesdorfer Innenstadt verabredet, gut zwei Kilometer von der Bay-Arena entfernt. Eigentlich wollen wir über seine Verbindungen zu Burscheid reden, wo der ehemalige Fußballprofi seit 1995 mit seiner Frau Marion wohnt. In einem Haus ganz in der Nähe des Tanzlokals Paffenlöher Steffi. Oder wie Vollborn sagt: „Richtig auf dem Land.“
Rüdiger Vollborn ist heute Fanbeauftragter und Vereinsarchivar
Doch so sehr er das abgeschiedene Leben in der Kleinstadt auch genießt, verwurzelt ist er in Burscheid nicht. Sein Leben spielt sich in Leverkusen ab. Als Fanbeauftragter kümmert er sich um die Belange der Anhängerschaft. Echte Herzenssache ist für ihn aber die historische Aufarbeitung der Vereinsgeschichte als Vereinsarchivar.
Es gibt wohl keinen Ex-Fußballprofi, der über ein so umfassendes Wissen über den eigenen Club verfügt, wie Rüdiger Vollborn. Er verfüge über eine lückenlose Spielhistorie inklusive aller Aufstellungen und Torschützen von sämtlichen Bayer-04-Pflichtspielen seit 1950, sagt er beiläufig.
Die Leverkusener Fußballgeschichte weiterzutragen, treibt ihn an. Er führt Fans durchs Stadion, hält Vorträge und kümmert sich um die historischen Utensilien und Ausstellungsstücke in der Schwadbud, der Fan-Kneipe in der BayArena. „Irgendwann muss ich unbedingt auch noch ein Buch schreiben“, sagt Vollborn. Ganz sicher wird er darin eine Hauptrolle spielen.
Das Bayer-Kreuz gibt mir mehr als der Kölner Dom.
Der damalige Jugendleiter Reiner Calmund ist es, der den 18-jährigen Rüdiger Vollborn aus der U19 von Blau-Weiß 90 Berlin nach Leverkusen holt. „Ein Herr Kallemund hat angerufen“, steht auf einem von Vollborns Mutter geschriebenen Zettel.
Im März 1981 unterschreibt der junge DFB-Auswahltorwart einen Vertrag in Leverkusen, wird im Juni U18-Europameister und im Oktober desselben Jahres U20-Weltmeister.
In Leverkusen fühlt sich der gebürtige Berliner sofort wohl. „Das Zusammenspiel der Stadt mit dem Bayer-Werk und dem Verein, der ja noch viel mehr als nur Fußball zu bieten hat, fand ich von Anfang an imponierend“, sagt Rüdiger Vollborn. Außerdem mag er das beschauliche Leben am Rhein. „Ich bin kein Großstadt-Typ. Das Bayer-Kreuz gibt mir mehr als der Kölner Dom.“
Bayer Leverkusen: Rüdiger Vollborn über . . .
- . . . seinen besten Mitspieler: „Vermutlich Jorginho. Wahnsinn, was der technisch draufhatte.“
- . . . seinen wichtigsten Mitspieler: „Eindeutig Ulf Kirsten. Auch wenn wir uns im Training oft an die Köppe gekriegt haben. Mittelstürmer und Torwart – das passt eben nie.“
- . . . den besten Bayer-Spieler aller Zeiten: „Lucio oder Dimitar Berbatov.“
Ab der Saison 83/84 ist Vollborn die neue Nummer 1 unterm Bayer-Kreuz. Aber der junge Torhüter hat einen schweren Stand in der Mannschaft – und bei den Fans. Seine Leistungen sind schwankend. Erst unter Trainer Erich Ribbeck spielt er konstanter.
Endgültig zum Liebling der Fans wird „Rudi“, wie ihn längst alle nennen, 1988 im Halbfinale des UEFA-Cup-Rückspiels bei Werder Bremen. Vollborn rennt nach dem Schlusspfiff sofort in die Fankurve, um mit den Anhängern das 0:0 und damit den Finaleinzug zu feiern.
„Für mich war dieses Spiel der Wendepunkt in dieser Beziehung: Die Fans wussten jetzt, wie ich ticke. Und ich wusste, wie sie ticken.“
Im Uefa-Cup-Endspiel 1988 gegen Espanyol Barcelona macht sich Vollborn unsterblich
Im Endspiel gegen Espanyol Barcelona macht sich Vollborn endgültig unsterblich. Bayer holt im heimischen Ulrich-Haberland-Stadion einen 0:3-Rückstand auf. Es kommt zum Elfmeterschießen. Die Leverkusener liegen zurück, als sich der damalige Co-Trainer – reine Torwarttrainer gab es noch nicht – Gerd „Ömmes“ Kentschke seinen Torhüter schnappt und sagt: „Die schießen jeden Ball in die Mitte, bleib einfach stehen!“
Vollborn wundert sich, bleibt fortan aber immer stehen und rudert mit den Armen. Kein Spanier trifft mehr. „Eigentlich meinte Ömmes nur einen Schützen, bei dem ich stehenbleiben sollte. Ich hab ihn falsch verstanden“, gibt Vollborn zu. „Für mich war das Schicksal, wir sollten den Pott damals einfach holen.“ Seine Augen leuchten beim Blick zurück. „Das war der schönste Tag in meinem Leben.“
Persönlichkeiten: Rüdiger Vollborn über . . .
- . . . Reiner Calmund: „Ein Mann mit Herz, aber natürlich mit allen Wassern gewaschen. Der wusste schon, wie er die Leute in Leverkusen halten kann.“
- . . . Andreas Fischer (früher BVL 08 Remscheid und Bayer Leverkusen): „Fischi war ein toller Mitspieler. Total bodenständig und mit einem trockenen Humor gesegnet.“
- . . . Sohn Fabrice: „Er war auch ein talentierter Torwart, hat beim BV Burscheid angefangen und unter anderem für die Regionalligamannschaft von Bayer 04 und für die SV Elversberg gespielt. Für die ganz große Karriere hat es aber nicht gereicht. Heute studiert er Jura.“
- . . . Sohn Jérome: „Den haben sie in Burscheid ins Tor gesteckt, obwohl er da nie hinwollte. Dafür ist er mit den Langenfeld Longhorns zweimal Deutscher Meister im American Football geworden und hat später noch aus Spaß bei der TG Hilgen im Tor gespielt.“
1993 gewinnt „Rudi“ mit Leverkusen seinen zweiten Titel. 1:0 im DFB-Pokalfinale gegen die Hertha-Amateure in seiner Heimatstadt Berlin. Den Begriff „Vizekusen”, der Bayer 04 Leverkusen Jahre später und bis heute begleiten sollte, gibt es noch nicht.
Dafür allerdings die von der FIFA kurz zuvor eingeführte Rückpassregel, nach der der Torwart einen mit dem Fuß zurückgespielten Pass eines Mitspielers nicht mehr mit der Hand aufnehmen darf. „Die Regel hat meine Karriere gekillt“, sagt Rüdiger Vollborn.
Warum Rüdiger Vollborn die Rückpassregel nicht leiden kann
Er will nicht erster Aufbauspieler sein. „Ich wollte Tore verhindern und fliegen“, sagt der Torwart der alten Schule. „Mein ganzes Selbstbewusstsein ging durch diese Regel flöten.“ Nach zwölf Jahren als unangefochtene Nummer 1 der Werkself verliert er wenig später seinen Stammplatz. Sein letztes Spiel macht er am 29. Mai 1999 gegen Bayern München.
Für Bayer 04 Leverkusen bleibt er aber weiter wertvoll. Als Co- und Torwarttrainer der Bayer-Jugend. Und vor allem als Entdecker des späteren Nationaltorhüters René Adler. Im Jahr 2000 nimmt Rüdiger Vollborn das damals 15-jährige Megatalent bei sich auf.
Was Rüdiger Vollborn mit Ex-Nationaltorwart René Adler verbindet
Adler lebt bis 2004 in Burscheid, Seite an Seite mit Vollborns Söhnen Fabrice und Jérome. Zu „Rudis“ 60. Geburtstag in diesem Jahr schreibt René Adler seinem Ziehvater einen Brief: „Der Weg zum Profi hat mir mehr Spaß gemacht als das Profisein selbst. Und die Zeit mit dir, auf dieses große Ziel hinzuarbeiten, war für mich mit die schönste Zeit meines Lebens.“
René Adler flog weiter, Rüdiger Vollborn blieb. Bis heute. Er sei immer stolz darauf gewesen, ein Teil dieses Vereins gewesen zu sein. Und findet es ungerecht, wenn Fans anderer Vereine den Leverkusenern ihre Historie absprechen wollen. „Wir haben uns im Gegensatz zu anderen Vereinen von ganz unten nach ganz oben gearbeitet.“
Als historisches Gedächtnis von Bayer 04 Leverkusen wird Rüdiger Vollborn weiter daran arbeiten, die Geschichte der Werkself lebendig zu halten. Die Legende freut sich auf weitere Kapitel. Ein Titel in der Europa League, 35 Jahre nach seinem größten sportlichen Erfolg, würde ziemlich gut passen. Träumen wird ja wohl erlaubt sein.