Handball
BHC nimmt seinen fünften Gang der Schande
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Bundesliga: Der Bergische HC geht nach gutem Start mit 28:38 (15:18) beim TBV Lemgo Lippe unter.
Von Thomas Rademacher
Gerade zwei Wochen ist es her, dass der Bergische HC den HSV Hamburg in der zweiten Hälfte mit 22 Toren entzaubert hat. Wie aus einem Guss spielten die Löwen den Gegner an die Wand und sicherten sich beim 37:34 nach schwacher erster Halbzeit noch sehr souverän die Punkte in der Handball-Bundesliga. Wer nun aber gedacht hatte, die Mannschaft habe aus diesem Erfolg gelernt, trotz zunächst mäßiger Leistung nicht aufzustecken, oder gar die Hoffnung gehegt hatte, dieser Schwung könne mit ins nächste Spiel genommen werden, wurde schwer getäuscht. Beim TBV Lemgo Lippe stand der BHC bereits eine Viertelstunde vor Schluss als klarer Verlierer fest. Nach dem 28:38 (15:18) stellte Kapitän Linus Arnesson klar: „Die zweite Halbzeit war einfach peinlich.“
Schwach begonnen hatten die Bergischen nicht. Ohne Lukas Stutzke und Tom Kare Nikolaisen (| Kasten) stand Trainer Jamal Naji nur Frederik Ladefoged als erprobter Innenblocker zur Verfügung. Csaba Szücs, der diese Rolle in vergangenen Jahren ausgefüllt hatte, in dieser Saison aber fast noch gar nicht zum Zuge gekommen war, sprang ein und fing sehr ordentlich an. Bis zur 11:8-Führung (19. Minute) war die BHC-Welt in Ordnung. Dann stellte Lemgos Coach Florian Kehrmann um und verlangte von seinem Team, die Zweikämpfe zu suchen und Richtung Kreis durchzubrechen.
Das gelang hervorragend. Weder Peter Johannesson noch zwischendurch Christopher Rudeck bekamen bei den größtenteils freien Abschlüssen zwischen den Pfosten etwas zu fassen. 18:15 führten die Lemgoer schon zur Pause, danach erhöhten sie munter weiter und ließen sich auch von einer 5:1-Abwehrvariante des BHC nicht aus der Fassung bringen. Fast jeder Angriff der Hausherren endete mit einem Tor.
Auf der anderen Seite kamen auch die Löwen zu klaren Chancen, scheiterten aber oft an Keeper Finn Zecher. „Kein Vorwurf an Frederik Ladefoged“, betonte Geschäftsführer Jörg Föste angesichts der sechs Fehlwürfe des Kreisläufers. „Er musste hinten wie vorne 60 Minuten ackern.“ Chancen am Fließband vergaben zudem Tomas Babak, Djibril M'Bengue und Elias Scholtes. Dass es nicht lief, war der Mannschaft anzusehen. Je länger das Match dauerte, desto niedergeschlagener wirkte das Team.
Genau hierüber ärgerte sich nicht nur Trainer Naji am meisten. „Wir dürfen uns nicht unserem Schicksal ergeben. Kaum gibt es mal einen 0:3-Lauf, lässt die Hälfte der Jungs die Köpfe hängen. Das müssen wir schleunigst verbessern.“ Es war nicht das erste Mal, dass dem BHC das passiert ist. Um genau zu sein, handelte es sich bereits um die fünfte derbe Pleite in dieser Bundesliga-Saison. „Wir müssen den Impuls verbessern, aus der Opferrolle rauszukommen. Es kann nicht sein, dass wir uns damit abfinden, dass alles gegen uns ist, und wir nicht versuchen, die Situation zu ändern.“
Natürlich gebe es rationale Begründungen dafür, dass sich die Mannschaft in Lemgo schwergetan habe, betonte Jörg Föste. „Man darf aber erwarten, dass sie sich gegen das Schicksal stemmt. Das habe ich vermisst. Das Team ist in der zweiten Halbzeit komplett in sich zusammengebrochen und regelrecht zu Staub zerfallen.“ Kapitän Arnesson ging sogar so weit, zu sagen, dass der BHC „heute keine Mannschaft“ war. „Wenn die Dinge funktionieren – wie gegen Hamburg – ist es einfach. Wir müssen auch da sein, wenn es mal nicht läuft.“
So blieb den BHC-Profis nach dem Schlusspfiff nur der fünfte Gang der Schande in dieser Saison. Geradezu entschuldigend klatschten sie den enttäuschten mitgereisten Fans Beifall.
Mit 26:28-Punkten steht die Truppe freilich weiterhin gut da. Jörg Föste hielt dann auch sein Versprechen, sich zu den Zielen für die Restsaison zu äußern: „Heute kann das Ziel nur lauten, dass wir unfallfrei mit dem Bus nach Hause kommen. Es ist zum Glück nicht so weit.“ Das gelang übrigens gegen 23 Uhr am Samstagabend. Abseits des Galgenhumors meinte der Geschäftsführer: „Es kann nach diesem Spiel nur um eine Vermeidungszielsetzung gehen. Wir müssen verhindern, dass uns diese sehr positive Saison nicht auf der Zielgeraden verhagelt wird.“
Arnor Gunnarsson kommt einem Meilenstein näher: Weitere Eindrücke aus Lemgo
Die zweite Halbzeit hielt aus Sicht des BHC wahrlich nicht mehr viel Sehenswertes bereit. Immerhin Arnor Gunnarsson nutzte seine Spielzeit sinnvoll. Der Isländer, der nach dieser Saison seine aktive Karriere beendet und ins Trainerteam wechselt, erzielte gleich vier Tore. Wenn der Rechtsaußen damit auch seinem Team nicht mehr entscheidend helfen konnte, so waren die Treffer zumindest für ihn persönlich wichtig – auch wenn der 35-Jährige das selbst wohl nie so hervorheben würde. Denn Gunnarsson fehlen nach diesen vier Toren nur noch elf, um in der 1. Bundesliga die 1000 voll zu machen. Dieser Meilenstein kann in der laufenden Saison noch gesetzt werden.
Ansonsten war der Anlass zur Freude beim BHC gering. Abgesehen von der fehlenden Leidenschaft lief auch spielerisch vieles schief. „Der Angriff an sich war nicht das große Problem“, sagte Trainer Jamal Naji. „Wir haben viele freie Abschlüsse und auch Durchbrüche an den Kreis, die wir nicht nutzen konnten. Normalerweise sind die zu 80 Prozent drin. Wenn man die alle nicht reinmacht, ist es schwer zu kompensieren.“ Dazu kam, dass Lemgo eine enorme Angriffseffektivität aufwies. Naji: „Hinten war das bei uns heute nichts. Das muss man so klar sagen.“
Geschäftsführer Jörg Föste fand, dass „nüchtern und rational betrachtet ganz viele kleine Dinge gegen uns gelaufen sind, die insgesamt zu einem großen Ding wurden.“ Neben den bereits genannten Problemen erwähnte er außerdem die im Vergleich zu Lemgo höhere Anzahl an technischen Fehlern.
Erleichtert zeigte sich hingegen Florian Kehrmann angesichts des 38:28-Erfolgs seiner Lemgoer. Der Trainer war sich nicht sicher, wie sich seine Mannschaft nach den beiden Niederlagen beim Pokal-Final-Four präsentieren würde.
Ausfälle
Lukas Stutzke hatte sich vor zweieinhalb Wochen gegen den SC Magdeburg eine Gehirnerschütterung zugezogen. Das Risiko eines Einsatzes war bei ihm in Lemgo noch zu hoch. Tom Kare Nikolaisen konnte ebenfalls mit Schulterproblemen nicht antreten. Da Tom Bergner schon länger verletzt ist, fehlten dem BHC somit drei Innenblock-Spieler.
Kommentar von Thomas Rademacher: Löwen spielen wie Mäuschen
Es ist kaum zu fassen, dass sich der BHC, nachdem er gegen den HSV Hamburg begeistert hatte und daher vor Selbstbewusstsein strotzen müsste, in der zweiten Halbzeit auswärts gegen den TBV Lemgo so vorführen lässt. Die Löwen haben wie Mäuschen ausgesehen. „Dem ist nichts hinzuzufügen“, kommentierte Trainer Jamal Naji diese These. Keine Frage, der Coach war angefressen.
Gleiches galt für Geschäftsführer Jörg Föste, Kapitän Linus Arnesson und vermutlich den Großteil der Spieler. Natürlich haben sie alle recht. Und genauso natürlich geht die Arbeit weiter, und der BHC wird sich auch von dieser Schlappe erholen.
Ein Nebenaspekt, aber sehr positiv ist eines: Der BHC beziehungsweise dessen handelnde Personen suchen in solchen Situationen fast nie die Schuld bei anderen. Bei Thomas Tuchel wäre es vielleicht der Schiedsrichter gewesen. Von so etwas bleibt man im Handball weitgehend verschont. Und wenn es dann doch mal kommt, ist es aufgrund der Seltenheit auch ernst zu nehmen.